Wo wir nie hinwollten: Drei Tage Dubai

Wo wir nie hinwollten: Drei Tage Dubai

Seit drei Tagen sind wir in diesem seltsamen Emirat, das uns viel Stoff zum Schauen, Staunen, Abwerten, Hinterfragen und Diskutieren liefert.
Dubai lag auf unserer WeltreiseWunschListe so ziemlich abgeschlagen auf dem letzten Platz, und dass wir trotzdem hier gelandet sind liegt an der in Ecuador geborenen Idee, über den Persischen Golf in den Iran einzureisen, da wir
1. Keine Lust hatten, über Frankfurt zu fliegen
2. die Idee charmant fanden, das Land vom Wasser her und dann von Süd nach Nord zu durchreisen
3. es in Dubai eine iranische Botschaft gibt, und die Chancen gut schienen, die Visa elektronisch zu beantragen und dann in Dubai abholen zu können und nicht in Quito eine unbestimmte Zeit darauf warten zu müssen.

Der erste Tag

Die Stimmung ist auf dem absoluten Tiefpunkt dieser Reise. In der Botschaft sagen sie uns, dass das elektronische Visum nur für hiesige Einwohner funktioniert, dass sie von uns keinerlei Mails erhalten haben, dass der Antrag, den sie jetzt losschickt ca. ein bis drei Wochen dauern wird, dass im Iran in den nächsten Tagen Feiertage sind, dass wir jetzt kein Visa-On-Arrival mehr beantragen können, dass wir jetzt höchstens noch direkt in den Iran fliegen und dort direkt ein Visa-On-Arrival beantragen können(sic!), was aber sehr sehr unsicher ist …
Wir verlassen äußerst geknickt die Botschaft und fahren ins Zentrum der Stadt, in das Auge des Orkans des Kommerz-Mega-Protz.

Hier steht der höchste Wolkenkratzer der Welt, die fast 1km hohe Nadel des Burj Khalifa, die mögliche Wolken eher abstechen würde als sie zu kratzen. Drumherum ist auch alles voll wirklich hoher Hochhäuser, 50-60 Stockwerke, bei deren Anblick einem schon richtig schwindelig wird – aber die zerschrumpfen vor und hinter dieser Nadel ins Bedeutungslose.
Direkt darunter ist die größte Shopping-Mall der Welt, mit einem dreistöckigem Riesenaquarium mit Riesenmeerestieren, und einer Dimension, dass man Tage darin verbringen kann, ohne alles gesehen zu haben… (darin „ein Buchladen so groß wie mein Heimatdorf“ kommentierte irgendjemand).
Jede Marke die was auf sich hält, jede Kette, jedes Produkt, das sich als unverzichtbar für das Glück der Menschheit hält hat hier einen Flagship-Store, angeblich gibt es irgendwo einen Automaten, um Goldbarren (to Go) zu ziehen… Und in den Geschäften ist die Welt. So bunt und vielfältig wie die Menschheit eben ist, jede Gruppe hat ihre Vertreter geschickt.
Steffi und ich sind die einzigen Vertreter der angeschlagenen, frustrierten, überforderten, desillusionierten (ob unserer Reisepläne) Mitteleuropäer, die eigentlich niemals hier sein wollten. Und wie reagiert dieser typischerweise? Weiß ich nicht. Wir reagieren mit Abwerten:
„Alles ist pervers hier“
die Sterilität: Die ganze Stadt wirkt wie ein hochmoderner Flughafen (solange er nicht BER heißt). Alles ist blitzblank, neu, edelste Materialien, praktisch, etwas überteuert und extrem synthetisch. Auf den vielen langen Laufwegen, die Gebäude oder Haltestellen miteinander verbinden, befinden sich diese waagrechten Rollbänder, die raffiniert beschleunigt werden, die Luft ist perfekt klimatisiert, bis hin zu leichter Parfümierung wie mir scheint. Die Beschilderung ist überall klar verständlich, auf das Zentrale reduziert… Aber alles ist so perfekt, wie steril.  Alle Geschäfte und Restaurants sind perfekt designed. Man spürt Professionalität und durchaus auch Kreativität: von weltweit renommierten Architekturbüros, Marketingagenturen, Inenausstattern und Unternehmensberatungen – aber man spürt keine Menschen dahinter.Niemand, der oder die einen Laden mit Herzblut gestaltet, ein Café mit Liebe zum Detail ausstattet. Hier ist kein Platz für das Schräge, Unperfekte – niemand begeistert sich für sein Tun oder identifiziert sich mit seinem Job. Die Angestellten sind alle ernst, gelangweilt bis unfreundlich, kein Lachen nirgendwo. Was für ein Kontrast zu Lateinamerika.
– der Energieverbrauch: Die Stadt hat vermutlich den höchsten Pro-Kopf-Energieverbrauch der Welt, da hier alles überall klimatisert ist: Häuser, Autos, Metro (größtes führerloses Fahrsystem der Welt), Fußwege zwischen den Gebäuden, Bushaltestellen, Fußgängerbrücken und natürlich auch die riesige Skihalle, in der es Schneit …. da Autos geliebt und gepimpt werden und auf 12-spurigen Straßen rasen dürfen, da so viel und hoch gebaut ist und wird, und alles bei Dunkelheit wie in Tausend und einer Nacht erstrahlt, da fast sämtliches Wasser in energieaufwändigen Verfahren aus Meerwasser gewonnen wird …
– der Wasserverbrauch: für die Parks und Golfplätze der Stadt, die riesigen Fun-Wasserparks, für das feuerwerksgleiche Spektakel der riesigen Fontänen, die mehrmals täglich einen perfekt choreographierten Tanz vor der Dubai-Mall vollführen (eine gewisse Faszination beim Zuschauen streiten wir entschieden ab!) und natürlich für den Bau und dann Betrieb der unendlich scheinenden Anzahl an Türmen zum Wohnen, Arbeiten und Ferien machen
– die Arbeitsbedingungen: Es gibt ein paar wenige Tausend ursprüngliche Einwohner der Stadt/des Emirates – die dürften durchweg (fast?) alle Vielfach-Millionäre sein und betreiben diese ganze Glimmer-Welt. Dann gibt es die Gutverdiener aus dem Ausland Externen, die für die ganzen Firmen arbeiten, die man hier findet, und man findet wirklich praktisch alle. Zum Beispiel unser Vermieter, – in Mittzwanziger, Franzose aus Marokko –  der für eine amerikanische Firma hier Strategie-Beratung für hiesige Firmen macht, und in diesem Tower mit Fitness-Center und Riesen-Pool am Yachthafen wohnt . Ein Mittzwanziger,  frisch von der Uni – was weiß der denn von Strategien? Netter Kerl! Diesen Experten finanziell in etwa gleichgestellt, sind die ganzen Touristen, die zu knapp 20Mio im Jahr das Land besuchen und mit Geld befüllen. Da sind die Reichen und Schönen genauso dabei, wie die, die auch gern reich und schön und Jet-Set wären und die sich hier zu erschwinglichen Preisen auch mal so fühlen dürfen. Und dann gibt es auf der anderen Seite die niederen Dienstleistungen. Die kommen aus der ganzen Welt, viele aus Indien, Pakistan, Bangladesh, aber auch aus diversen Ländern Afrikas, von überall, wo die Armut zum Ausverkauf der eigenen Würde zwingt. Der Taxifahrer aus Indien sagt uns: „Ich arbeite 12 Stunden am Tag, von 4 Uhr bis 16 Uhr, eine Pause mache ich nicht. Nur wenn ich es schaffe am Tag ca. 100 € einzufahren, verdiene ich im Monat ungefähr 900,-€, sonst weniger. Deshalb mache ich keine Pause. Ich arbeite 7 Tage in der Woche und 10 Monate am Stück, dann fahre ich für zwei Monate nach Indien zu meiner Familie. Das ist sehr hart, aber ich verdiene so mehr als in Indien. Gewerkschaften gibt es hier nicht, die sind verboten.“

Der zweite Tag

Wir haben uns entschieden erstmal noch keinen Flug auf gut UnGlück zu buchen und gehen ohne wirklich klares Ziel nochmal zur Botschaft. Nach einer Stunde haben wir die Visa in den Pässen können es selber nicht glauben und schweben dankbar aus dem Botschaftsgelände. Gesten noch fingen wir an über Alternativen nachzudenken und nun können wir unseren Plan, mit der Fähre über den Golf zu fahren weiterverfolgen. Das ist großartig. Vielleicht können wir nun ohne weiteren Flug von Dubai bis in die Schlierbergstraße reisen.
Auf der Suche nach einer Agentur für die Fähre entdecken wir die Reste des alten Dubai. Hier am „Creek“ überqueren wir das grün-türkisfarbene Wasser des Meeresarmes mit kleinen wackeligen Holzbötchen quasi umsonst und fühlen uns plötzlich ein wenig wie in Venedig. Es riecht wieder nach Leben, nach Realität. Hier lebten die Perlentaucher, die zu erstem kleinen Wohlstand des Emirates führten und hier spielte sich der Handel ab, der lange das hiesige Leben bestimmte. Auch jetzt ist das Ufer voll schöner türkiser Holzboote, schwer beladen mit den Gütern dieser Welt.  Hier leben und handeln die ganzen geringverdienenden Arbeitskräfte und machen so diesen Teil der Stadt zu einem kleinen Markt der Welten. Eine Parallel-Welt zur Glimmer-Metropole.


Den Abend verbringen wir Nähe unseres Wohn-Turms an der Marina: 7km Uferpromenade, 200 Restaurants und die flanierende Freizeit-Welt, die an uns vorbei zieht. Neben vielen deutschen Familien (?!) und anderen Weißgesichtern ziehen uns vor allem immer wieder die hiesigen (?) Männer in den langen weißen Gewändern in ihren Bann. Sie sind groß und erhaben, meist mit sehr gepflegten Bärten und oft in Begleitung einer oder mehrerer Frauen. Diese sind eher klein, in komplett schwarzem Gewand, manche nur mit Augenschlitzen, andere nur mit Kopftuch. Viele sind als Familien unterwegs, und das irritierendste für uns ist die Tatsache, dass wenn es Kinderwägen gibt, immer die Männer diese Kinderwägen schieben und sehr oft die Kinder tragen. Das rührt uns jedes Mal und macht uns immer wieder klar, wie eng wir in unseren Bildern und Vorurteilen sind.
Tatsächlich ist das hier nämlich eine höchst liberale Gesellschaft, was Lebensformen betrifft: Hier stört sich niemand an irgendwelchen äußeren Bekleidungen oder Nicht-Bekleidungen, alles was Geld bringt ist willkommen! Auch religiös ist hier eine tolerante Insel des Islam, es gibt christliche Kirchen, wohl auch eine Synagoge und buddhistische Tempel.

Der dritte Tag

Wir sind wieder so entspannt, dass wir am Morgen an den Strand gehen. Am Horizont die Hotels der künstlichen Palme, eine gerade entstehende Kopie des London-Eyes und auch ein Trump-Tower…  Und trotzdem fällt es schwer, die liebgewonnene Abwertung dieser ganzen Welt in voller Schärfe aufrecht zu erhalten. Zum einen ist die Strand-Wasser Kombination hier so ziemlich das Feinste, was wir in unserer bisherigen Reise erbaden durften. Der Sand ist wirklich fast Mehl und das Wasser kristallklar. Ein Kinder-Badeparadies, dessen Strahlen wir uns nicht entziehen können. Zum ersten Mal können wir etwas Verständnis aufbringen für die Eltern, die ihre Kinder hier zum Ferien machen nötigen.

Zum anderen führt uns aber auch ein Gespräch mit unserem franco-marokkanischen Mitnewohner vor Augen, wie eng und europäisch unsere Sichtweise auf dieses Land und die Menschen dieser Welt ist. Die Abwertung wechselt ein wenig hin zu Fragen, an denen wir uns abmühen:

  1. Haben wir als Europäer das Recht, uns über diese rasante Entwicklung zu erheben, mit all den ökologischen Fehlern, die wir selber gemacht haben? Nur weil wir meinen in einer Post-Wachstums-Epoche leben zu wollen, dürfen wir das auch von Teilen der Welt erwarten, die bis vor wenigen Jahren noch praktisch keinerlei Wohlstand hatten?
  2. Hier sind die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen direkt sichtbar, wir in Deutschland haben, Arbeitsschutz, Mindestlohn… aber wir profitieren natürlich genauso von dieser extremen Schieflage des Wohlstands in der Welt, über all die Technik – Produkte, die wir kaufen, den Kaffee, den wir trinken, die Reisen die wir Deutschen so gerne unternehmen… Dürfen wir das hier anprangern?
  3. Ab wann beginnt oder was ist ein Kriterium für Ausbeutung? Wann ist ein Lohn „fair“?
  4. Ist das hier wirkliche Freiheit? Kann jeder das machen, was er will – die ausgefallenen Dinge bauen, wie das „Museum der Zukunft“… ist das hier ein Traum für Architekten oder ein Alptraum?
  5. Warum schieben all die Scheichs die Kinderwägen wie schwedische Sozialisten-Väter?
  6. Gehen junge Frauen hier wirklich gerne als Frauen mit Totalverschleierung neben ihrem Ehemann in Short und mit Baseball-Kappi, der mein Schüler sein könnte? Wie sieht so eine Ehe aus?
  7. Hier sind die Autofahrer die rücksichtsvollsten der Welt, die schon anhalten, bevor wir selber wissen, dass wir gleich die Straße überqueren wollen – warum? Warum ist trotz all des Geldes alles so sicher hier – Polizei ist nirgends zu sehen?
  8. Warum kommen hier so viele Deutsche hin?
  9. Wie sieht eine realistische, gerechte, nachhaltige Politik aus?
  10. Wo gibt es hier guten Cappuccino?

Leider ist die Seite hier zu Ende und kein Platz mehr für die korrekten und total originellen Antworten, die wir gefunden haben.

Schade eigentlich.

There are 3 comments for this article
  1. Janssen at 11:18 am

    Wir sind sehr angetan von dem interessanten und ausgewogenen Bericht.Auch für uns war und ist Dubai kein Reiseziel. Wir danken Euch daher sehr,dass Ihr uns immer so gutund tiefgründig über Eure Erfahrungen informiert.Wir hoffen,dass wir weiterhin Eure Reise so sorgenfrei mitgenießen können. Rita und Dieter

  2. Renate Oswald at 8:10 am

    Dass ihr ausgerechnet dort gelandet seid, wo ihr nie hin wolltet —nun: ich war fast erleichtert zu lesen dass euer Bild der Vereinigten Arabischen Emirate doch auch noch positive Seiten aufzeigte. maman

  3. Susann at 7:26 am

    Salut

    gut, dass ihr mal ausgeforscht habt, wie es in diesen Emiraten so ist. Ich bin da ja schon öfter zwischengelandet und habe mich immer gefragt, warum die Leute freiwillig dorthin reisen. Schon die Werbung im Flugzeug – die genau die von Euch beschriebene perfekte Welt darstellt – wirkt abschreckend. Ja, ich halte meinen eurozentristischen Ansatz hoch und schließe mich Eurer letzten Frage an.
    Rom ist eben auch nicht mehr, was es mal war. Grüße von ebendort, Susann

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