Ein Monat mit Kopftuch

Ein Monat mit Kopftuch

Das Kopftuch ist ein leidiges, in Deutschland hoch symbolisch aufgeladenes Thema, das frau sehr umfassend recherchieren und analysieren könnte mit allen soziokulturellen, religiösen, historischen Kontexten etc. Kann ich nicht. Ich will aber trotzdem ein paar Gedanken festhalten und sortieren, ganz subjektiv, aus eigenem Erleben, aus Begegnungen und Beobachtungen.

Dank der strengen Bekleidungsvorschriften im Iran gehe ich jetzt seit drei Wochen schon fast routiniert mit dem Kopftuch (Hijab) aus dem Haus – und beobachte natürlich genau, wie es die anderen Frauen um mich herum machen: Da gibt es jede Menge Frauen, die sich komplett in riesige schwarze Tücher (Tschador) hüllen, die sie immer mit einer Hand vor dem Körper zusammenhalten. Wenn sie zudem noch eine Umhängetasche tragen und ein oder zwei Kinder dirigieren, sieht das sehr kompliziert aus. Viele ziehen, das Tuch dann auch noch – sobald ein Mann in der Nähe ist – vor den Mund und halten es dann z.T. mit den Zähnen fest. Diese Variante sehen wir bei älteren Frauen öfters als bei jungen und in der Stadt wesentlich weniger als auf dem Land, dort aber quasi zu hundert Prozent, bei Alt und Jung, sofern überhaupt Frauen auf der Straße sind.

Das andere Extrem: Die vielen junge Frauen, für die der Kopftuchzwang der islamischen Republik offensichtlich ein Graus ist. Sie tragen enge Jeans, lange taillierte Blusen darüber (Po und Arme müssen bedeckt sein!) und das Kopftuch ist echt ein Witz: Das schmales Stück Stoff wird nur hinten über den Pferdeschwanz geworfen, unten schaut das lange Haar schon wieder raus… . Aber im Nacken verknoten darf man es nicht, wie mir eine Frau erklärt. Das Tuch muss schon vorne um den Hals geschlungen werden und diesen bedecken, sonst gilt es nicht.

Ich selbst orientiere mich natürlich an der letzteren Variante und versuche, das Tuch ebenso elegant über den Hinterkopf zu legen wie die Iranerinnen. Mangels Haarpracht gibt es aber keinen Dutt oder Pferdeschwanz auf dem das Tuch hält. Also nestle ich ständig an dem Ding rum, damit es nicht runterrutscht (nervt) oder ich ziehe es weiter hoch über die Stirn (sieht doof aus). Außerdem ist es darunter natürlich heiß und wenn der Wind weht, bin ich fast nur noch damit beschäftigt den Stoff an seinem Platz zu halten. Natürlich gibt es dafür praktischere Lösungen, zum Beispiel das Tuch eng unter dem Kinn zu verknoten, aber das verbietet die Eitelkeit.

Ich frage: Was passiert denn, wenn frau ohne Kopftuch auf die Straße gehen würde? Antwort: Oh, Dir als Touristin passiert gar nichts, höchstens dass Dich jemand auf der Straße darauf aufmerksam macht, dass Dein Hijab fehlt. Aber wir Iranerinnen können schon Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen. Das reicht von Geldstrafen bis zum Einsperren, obwohl das in letzter Zeit seltener geworden ist.

Wir beobachten oft, das Mädchen beim Posieren für ein Foto das Kopftuch ablegen, nur ganz kurz und nach einem prüfenden Blick in die Umgebung. Und immer wieder die Bemerkung: Ich hasse dieses Ding und dass ich es tragen muss.

Dann beschäftigt mich natürlich ständig die Frage, wann muss ich das Tuch aufziehen bzw. wann kann ich es ablegen? Grundsätzlich gilt: wenn mich Männer außer meinem eigenen sehen können -> Kopftuch. In privaten Räumen können mir aber die Hausherren (!) erlauben, das Tuch abzulegen. Das sieht dann so aus, dass quasi in allen Hostels, die v.a. von Ausländern besucht werden, die Kopftücher fallen; schließlich gibt es hier absurderweise auch gemischte Schlafsäle und gemischte Gemeinschaftsbäder. Wenn wir aber in Hotels bzw. an Orten sind, wo es kaum ausländische Touristen gibt, heißt das: mit Kopftuch zum Frühstück oder – wie jetzt gerade – mit Kopftuch in der Lobby sitzen. Aber wie ist es, wenn ich in einem privaten Zimmer bin, durch dessen Fenster man von der Straße hereinsehen kann, oder wenn ich kurz auf den Balkon trete, der zur Straße rausgeht? Oder mal kurz vor die Tür gehe, um meine Schuhe reinzuholen? Das Fazit meiner Beobachtungen: immer mit Kopftuch! Zumindest habe ich außerhalb der großen Städte noch nie einen Blick auf eine iranische Frau ohne Kopftuch erhascht.

Andere Touristinnen haben mich gefragt, ob mich das Tragen des Kopftuchs auch so belasten würde. Nee, tut es nicht. Ich fand es zuerst interessant und inzwischen nervig. Schließlich bin ich freiwillig hier und weiß genau, dass ich es bald wieder ablegen kann. Was mich belastet, ist die Tatsache, dass das Kopftuchgebot für Mädchen ab neun Jahren gilt, offenbar weil der Prophet Mohammed seine Aishe mit neun Jahren zur Frau genommen hat. Deshalb hatte Khomeini nach der islamischen Revolution das Heiratsalter für Mädchen auch auf neun Jahre abgesenkt, Furchtbar! Mittlerweile liegt es wieder bei dreizehn Jahren, kaum besser….

Dennoch habe ich meist den Eindruck: Die Kopf-/ Körperverhüllung hat gar nicht soviel mit religiösen oder staatliche Vorschriften zu tun, sondern vielmehr mit einem tief verinnerlichten Schamgefühl. Viele Frauen würden sich „oben ohne“ schlicht halbnackt fühlen (vielleicht vergleichbar, wie wenn wir in Unterwäsche vor einem Fremden stehen…?…) und zwar ganz unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht.

Nebenbei bemerkt: Noch nie haben uns so viele Menschen – auch Frauen im Tschador – ungefragt mitgeteilt, dass sie nicht religiös sind, nicht an Gott glauben, Atheisten sind, nie in die Moschee gehen, auf keinen Fall den Ramadan einhalten, gerne auch mal Alkohol trinken etc….

Als zu Zeiten des Schah das Kopftuch verboten wurde, sind viele Frauen wohl jahrelang nicht mehr aus dem Haus gegangen und Mädchen wurden nicht mehr zur Schule geschickt, weil die Vorstellung unerträglich war, sich derart unbekleidet auf der Straße zu zeigen.

Mein Fazit nach drei Wochen im Iran:

– Ich persönlich finde das Kopftuch nicht belastend, sondern schlicht lästig und bin froh, wenn ich es in der Türkei wieder ablegen kann (und wieder kurzärmlig raumlaufen darf..).

– Für liberale Frauen und Männer(!) v.a. in den Städten ist das Kopftuch durchaus ein Symbol der Unterdrückung, das sie lieber heute als morgen abschaffen würden – manche gehen dafür auch ins Gefängnis.

– Viele junge Mädchen fühlen sich davon v.a. in ihrem Bedürfnis nach Schönheit und Selbstdarstellung auf Selfies eingeschränkt.

– Für viele andere Frauen ist es offenbar Bestandteil einer normalen anständigen Bekleidung und hat nicht notwendigerweise mit Religion sondern vielmehr mit gesellschaftlicher Konvention zu tun.

Warum aber hat diese gesellschaftliche Konvention für Frauen soviel mehr Ge- und Verbote parat als für Männer? Noch ein paar Überlegungen und Erkenntnisse dazu:

Die Frau als Unterpfand der männlichen Ehre

Wir kennen das alles auch aus dem christlich-abendländischen Raum: Die Ehre des Mannes hängt unter anderem daran, dass seine Frau, Tochter, Schwester sittsam und tugendhaft ist. Deshalb muss er streng über deren Tugend wachen und wenn sie Schande über die Familie bringt, muss der Mann dafür sorgen, dass die verletzte Ehre wieder hergestellt wird. Es ist nicht so lange her, dass im katholischen Sizilien oder Spanien vergewaltigte Frauen den Täter heiraten mussten oder eine „unehrenhafte“ Frau von ihrem Mann/Vater/Bruder getötet wurden. Es ist also kein Ausdruck einer bestimmten Religion, sondern eher einer antiquierten, patriarchalen Gesellschaft – und diese scheint hier abseits der liberalen urbanen Mittelschicht noch sehr lebendig mit all ihren Einschränkungen und Ungerechtigkeiten für Frauen und Mädchen.

So sollten sich Mädchen möglichst nicht den Blicken fremder Männer aussetzen: Neben dem Verhüllen von Haar und Körperformen bedeutet das u.a.:

– nicht im See oder Meer baden, wo die Jungs selbstverständlich herum plantschen

– nicht draußen spielen: selbst kleine Mädchen werden schon überwiegend im Haus behalten. Auf den Straßen sieht man nur Jungs kicken, mit Fahrrädern rumfahren und alles tun, was Kinder eben so machen.

– nicht ausgehen: Während die Jungs und Männer ständig auf der Straße, in Shisha-Bars oder Teehäusern rumhängen, sieht man Mädchen und Frauen nur geschäftig von A nach B gehen, sprich: in kleinen Orten verlassen sie eigentlich nur das Haus, um zur Schule zu gehen oder wenn sie eine konkrete Aufgabe haben.

Der Kontakt zwischen Männern und Frauen außerhalb der Familie ist unerwünscht und wird durch gezielte Maßnahmen unterbunden:

– Das Schulsystem ist geschlechtergetrennt bis zum Abitur. Allerdings sind die Universitäten gemischt. Seltsam, denn wird es doch richtig interessant….

– In Bussen und Sammeltaxis wird immer solange Bäumchen-Wechsel-Dich gespielt bis keine Frau neben einem fremden Mann sitzen muss.

– Diskos, Clubs oder sonstiges Amüsements sind im Iran sowieso verboten, denn dort könnte es ja zum Zusammentreffen unverheirateter Männer und Frauen kommen.

Bei diesen Regeln handelt es sich um ein Gemisch aus gesetzlichen Vorschriften und gesellschaftlichen Konventionen. Derzeit sind wir im kurdischen Teil des Iran. Hier wird besonders oft  betont, dass Religion nicht so wichtig ist und man auf die Regierung eigentlich pfeift; und trotzdem sind die og. Regeln allgegenwärtig.

Das alles ist natürlich ein Ärgernis insbesondere für die jungen Frauen UND Männer, aber die Konsequenzen von Regelverstößen sind vor allem für Mädchen gravierend. Ein Mädchen, das einen Freund hatte oder gar nicht mehr Jungfrau ist, gilt als verdorben und nur noch schlecht zu verheiraten. Für Jungs/Männer gilt das nicht. Deshalb wachen die Eltern auch wesentlich strenger über die Töchter als über die Söhne. (>> Sonja)

Und all die Mädchen, mit denen ich hier gesprochen habe (weil sie den Kontakt zu mir/ zu uns begierig suchen) empfinden diese Regeln als unglaublich einschränkend, bedrückend und rebellieren kräftig dagegen. So hat sich in den Städten auch schon sehr vieles geändert: Hier sehen wir Gruppen von Frauen in Cafés sitzen und ab und zu auch Jungs und Mädchen gemeinsam im Park rumhängen. Und die vielen jungen Menschen mit denen wir sprechen, versichern uns: Wir haben durchaus unsere Räume, um uns zu treffen und Spaß zu haben; das ist halt illegal, aber das macht es nur interessanter.

Hier ist so sehr spürbar, wieviel Veränderungsdruck von der jungen, gut ausgebildeten und bestens vernetzten Generation ausgeht. Der Wandel ist in den Städten längst angekommen und ist offenbar weder von einem kontrollsüchtigen Regime noch von ebensolchen Eltern aufzuhalten.

There is 1 comment for this article
  1. Rolf Oswald at 4:56 pm

    Hallo Steffi,
    mich hat Dein ausführlicher Artikel über das Kopftuchgebot sehr beeindruckt; wusste auch nicht, dass zuzeiten des Schah´s das Tragen verboten war und dies offenbar bei der Bevölkerung gar nicht gut ankam, oder gar begrüßt wurde.
    Als ich 1989 mit einer Gruppe (von Biblischen Reisen für den Buchhandel organisiert) in Jordanien und Syrien und dem Sinai war hatten wir am Schluß auch alle Kopftücher auf- zum größten Teil wegen des Windes. Auch in ausgeschnittenen Kleidern ist niemand gegangen, auch nicht in Shorts. In der Omajaden Moschee mussten wir Kapuzen in Schwarz aufsetzen, die total von den früheren Trägerinnen verschwitzt und somit eklig waren.
    Den strenggläubigen Israelitinnen wird als jungen Neuverheirateten das Haupthaar geschoren, so dass sie keine allzu große

    o

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