Was habt Ihr an Deutschland schätzen gelernt? (Vicky)

Was habt Ihr an Deutschland schätzen gelernt? (Vicky)

Wir sitzen den ersten Tag im Ländle, im wunderschönen oberen Donautal, bei goldener Abendsonne, unter den strahlend weißen Kalkfelsen am kühlen Wasser und werden übermorgen wieder in Freiburg einrollen. Schön ist das hier, verdammt schön. Die Frage, ob man dann überhaupt so weit fahren muss, um schöne Orte zu finden stellen wir uns nicht. Aber natürlich blicken wir mit neuen Eindrücken aus der Welt auf unser Leben hier Deutschland.
Die Heimat kam schleichend: Ab Belgrad sahen wir Radler im Alltag, ab Kroatien akkurat gemähte Rasenflächen, ab Slowenien den Euro und den Eichelhäher.
In Deutschland angekommen suchen wir als erstes ein Fahrradschild für den weiteren Verlauf unserer Route, der „Via Claudia Augusta“, wie wir das seit drei Ländern tun. Was wir finden ist ein kleiner Pfeil für die weitere Richtung, aber ein großes Schild mit „Verhaltensregeln auf dem Radweg“, klein gedruckt, groß gedacht und inhaltlich bestimmt sehr sinnvoll. Willkommen daheim, denken wir mehr amüsiert als irritiert.

Die nächsten Schilder, die uns zum Nachdenken über die Heimat anregen wollen, sind die Wegweiser zu einem Humanenergetiker und einer Katzenpsychologin. Wie würden wir einer Iranerin das Berufsbild und die Verdienstmöglichkeiten einer Katzen-Psychologin erklären?


Seit über einer Woche sind wir bereits in Deutschland, seither wollen wir die Rad-Routen-Fortschritte auf unsere Karte hochladen, wie ich das seit 7 Wochen mache. Das Problem: es gibt hier nirgends ausreichend gutes Internet. Weltweit gibt es in wirklich in jedem, ausnahmslos jedem Café, Restaurant, Imbissbude, Busbahnhof, Bus, Zug, Hotel, Campingplatz, … einfach überall ein WLAN, wo man mal schnell etwas posten oder ein paar Bilder hochladen kann. Heute haben wir in Deutschland nach 8 Tagen erst den zweiten solchen Ort gefunden. Unsere Handys mit deutscher Karte zeigen seit einer Woche ein entspanntes „E“, was nicht mal zum Lesen der Tagesschau Nachrichten reicht. Steffi hat vor kurzem einer iranischen Freundin geschrieben, sie melde sich per Video-Anruf, sobald wir wieder richtig gutes Internet haben. Sie wartet nun seit 10 Tagen darauf … auch das ist Deutschland, entgegen allen Vorstellungen, die wir und die Welt von „uns“ haben.

Aber das ist eigentlich nur ein ganz kleiner Krümel des Kuchens unseres veränderten Blicks auf Deutschland. Es gibt durchaus eine ganze Reihe Dinge, die wir im Kontrast zu anderen Ländern zu schätzen gelernt haben. Hier eine kleine Auswahl:

  • Denkmalschutz – am Beispiel Täbriz: Diese traditionsreiche Stadt im Nord-Iran hat viel historische Bausubstanz; allerdings muss man schon ganz genau hingucken, um diese zu entdecken. Verborgen unter mehreren Schichten von Leuchtreklamen, Werbetafeln in allen Größen und Farben, flimmernden Bildschirmen und grundsätzlich einem riesigen Kabelsalat ist kaum etwas davon zu sehen. Da ist es fast schon egal, ob sich hinter so vielen Aufmerksamkeit schreienden Sinnesmagneten ein Plattenbau oder ein Palast aus der Safawiden-Ära befindet. Die Besitzer eines denkmalgeschützten Gebäudes in Deutschland mögen ob der Auflagen mit den Augen rollen, aber für das Erscheinungsbild unserer Städte und Dörfer ist das durchaus ein Segen, der uns vorher so nicht bewusst war.
  • Behörden: Ein großes Lob auf die Professionalität, Freundlichkeit und Effizienz deutscher Behörden! All jenen, die jetzt tief Luft holen und Anlauf nehmen, um von ihrer jüngsten unsäglichen Behördenerfahrung zu berichten, empfehle ich einen Gang zu einer x-beliebigen Behörde – sagen wir mal in Peru, Bulgarien oder Türkei. Durch die Gänge wabert ein ungutes Gebräu aus träger Unterbeschäftigung (am Handy daddeln, auf dem Schreibtisch schlafen, privat telefonieren…), Inkompetenz (v.a. höhere Beamte scheinen ausschließlich wegen ihrer Beziehungen und nicht wegen ihrer Sachkenntnis oder sonstiger Fähigkeiten im Amt zu sein) und Herrschaftsgebahren („Ich bin Beamter und Du bist ein Nichts. Auf die Knie, wenn Du etwas von mir willst“), gepaart mit der Verweigerung, Verantwortung zu übernehmen („Das kann ich nicht entscheiden, da müssen Sie zum Sub-/ Super-/Ober-Chef“). Dagegen ist selbst der Gang zu einem deutschen Arbeitsamt ein transparentes, gut organisiertes und vor allem lösungsorientiertes Erlebnis.
  • Die Vertrauenskasse: Seit Österreich begegnet uns wieder, was wir auch aus dem Breisgau so gut kennen. Bauern legen ihre Kartoffeln, Äpfel, Himbeeren, Kirschen etc. auf einen Holztisch an der Straße, daneben ein kleine Kasse, in die das Geld einzuwerfen ist. Das scheint auch heute noch (in diesen ach so gefährlichen Zeiten) gut zu funktionieren – zumindest bei uns. Menschen aus Peru, dem Iran und Serbien haben uns im Brustton der Überzeugung versichert, dass das in ihren Ländern nicht funktionieren würde.
  • Wohlstand und Mittelschicht – am Beispiel der Lehrerinnen und Lehrer: Unsere empirische, nicht repräsentative Erhebung in sieben Ländern hat ergeben: Lehrer, in unserem Weltbild der Prototyp der Mittelschicht, verdienen von Kolumbien über Peru bis in den Iran zwischen 300 und 500 Euro pro Monat. Also etwa ein Zehntel des Einkommens einer deutschen Lehrkraft. Das Preisniveau in diesen Ländern ist zwar niedriger, aber bei weitem nicht sooo niedrig. Und importierte Produkte wie Handys, Computer, Autos kosten selbstverständlich genausoviel oder sogar mehr als bei uns. Fast überall gehören Klagen über die schlechte wirtschaftliche Situation zum üblichen Smalltalk dazu – wobei die Klagebereitschaft entlang unserer Reiseroute deutlich zugenommen hat (Südamerika < Iran < Südosteuropa), vermutlich um in Deutschland – umgekehrt proportional zu den monetären Gegebenheiten – ihren vorläufigen Höhepunkt zu erreichen. Dabei wird uns immer wieder deutlich, was für ein seltenes Privileg es ist, dass wir uns als ganz normale Mittelschicht-Menschen eine solche Reise leisten können.
  • Landkarten: Es ist großartig und ganz und gar nicht selbstverständlich, dass hierzulande Land-, Wander-, Fahrrad- und Straßenkarten für jeden Bedarf in jedem Maßstab und von nahezu jedem Winkel der Welt einfach so erhältlich sind. Und dass hier auch praktisch alle Menschen von klein auf lernen, damit umzugehen.
  • Landschaft: Hier ist es schon auch ganz schön schön! Berge, Flüsse, Wälder, Seen, Wasserfälle, malerische Dörfer, schnuckelige Städte, Blumenwiesen, überquellende Gärten. Vieles, worüber wir in anderen Ländern begeistert gestaunt haben, lassen wir auf unserer Radltour durch Kärnten, Südtirol, das Allgäu, das Obere Donautal und den Schwarzwald links liegen – fast schon ermattet von soviel Schönheit.

Warum also in die Ferne schweifen? Nun, davon erzählen so ziemlich alle anderen Beiträge in unserem Blog, den wir hiermit auch fürs Erste schließen wollen.

There is 1 comment for this article
  1. Manfred und Christa at 5:52 pm

    Willkommen zu Hause! Ihr habt uns mit Euren Berichten ganz viel Freude bereitet und uns „Eure Welt“ richtig nahe gebracht, fast so , als wären wir selbst dort gewesen. Schade, daß wir nun ohne Eure Berichte auskommen müssen.
    Lebt Euch gut wieder ein und seid lieb gegrüßt von Euren
    Manfred und Christa.

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