die Reise, Kolumbien

Mompox – die schönste Depression aller Zeiten

Nirgendwo ist das Leben mehr „ein langer ruhiger Fluss“ als in Mompox.
Das Städtchen liegt am Ufer des Rio Magdalena, einer Arteria Pulmonalis des Landes. Der Fluss bildet das breite Tal zwischen den Cordilleres Oriental und Central. Hier hat er schon ein paar Tausend Kilometer hinter sich, ist vereint mit dem Rio Cauca, der zur westlichen Cordillere führt und hat dabei so viel Wasser mitgebracht, dass er in dieser flachen Landschaft gar nicht weiß wohin mit all dem Wasser. Er bildet Seitenarme noch und nöcher und speist so viele kleine und riesige Seen und Sumpflandschaften, dass die Landkarte hier aussieht, als hätte Jackson Pollock sie gemalt, dabei aber nur Blau verwenden dürfen. Dieses Blau ist in der Realität braun und alles drum herum ist grün. Und weil es sonst nichts gibt außer Sumpf, Wasser, Weiden und Bäumen heißt die Umgebung hier auch „Depresión Momposino“. Und das ist kein Witz sondern eine offizielle Gebietsbezeichnung, die mich ständig zum Lachen bringt. Und diese Depression ist verdammt groß, vielleicht so groß wie das Saarland, vielleicht auch nicht.


Von Cartagena aus erreicht man Mompox mit Bus und Boot, eine Straße gibt aus dieser Richtung nicht. Noch nicht, denn im Sommer 2018 wird die zweitgrößte Brücke des Kontinents eingeweiht, über die Flussarme und Sümpfe hinweg, und dieser koloniale Ort, in dem das Leben seit 500 Jahren gefühlt so bedächtig vor sich hinzieht wie der Fluss, wird mit den Segnungen des Individualverkehrs geschwemmt.

Der Ort ist schön und sauber, hat vier Straßen und doppelt so viele, bunte Kirchen, in der jeder Kirchenbesucher einen eigenen Ventilator bekommt und wunderbare einstöckige Kolonialhäuser, alle in edlem kalkweiß getüncht und viele davon noch von offensichtlich wohlhabenden Menschen mit viel Geschmack bewohnt.

Die Bürgersteige sind hoch, sehr hoch, nur mit Stufen zu erklimmen. Zu oft schon kam das Wasser von allen Seiten in die Stadt gelaufen, vom Fluss, aus dem Hinterland, von oben und vermutlich auch von unten. Gabriel García Márquez lässt es in seinem Roman „100 Jahre Einsamkeit“ in dieser Stadt (die dort „Macondo“ heißt) mal 4 Jahre am Stück durchregnen. Und da der magische Realismus eben nicht nur magisch ist, mussten die Bewohner im Jahr von „la niña“ (2010) wochenlang mit Kanus durch die Straßen fahren.

Wir sitzen an der Uferpromenade, genießen Kaffee und Blick. Am gegenüberliegenden Ufer gibt es nix als Landschaft, nicht eine Hütte. Auf dem stetig fließenden Fluss treiben den ganzen Tag kleine und große Inseln aus Gras und anderen Wasserpflanzen, die alle ans Meer wollen. Die Schifffahrt, die den Ort einst reich und bedeutend gemacht hat, gibt es heute nicht mehr, das verstärkt das Gefühl der bedächtigen Zeitlosigkeit.

Wenn wir nicht Kaffee trinken und unsere Milch dafür bestellen oder die vorbeiziehenden Erwerbstätigen und Müßiggänger beobachten, dann schauen wir auf das Wasser und wiederholen mantraartig einfallslos aber unheimlich beruhigend „das Leben ist ein langer ruhiger Fluss“.

Oder wir lesen zusammen „Der General in seinem Labyrinth“. Ein schöner Roman über die letzte Reise des Befreiers Simón Bolivars, der gerade sein Präsidentenamt abgeben musste und nun schwerkrank das Land verlassen soll. Im Moment fährt er den Rio Magdalena herunter und macht das letzte Mal in Mompox Station. In dieser abgelegenen Stadt, die als erstes die Unabhängigkeit verkündet und die er immer wieder besuchte und von der er sagte, dass sie ihm den Ruhm brachte. Hier hat er Fieberträume von der Krankheit, aber auch von der feuchten enormen Hitze, die hier in anderen Monaten unerträglich sein muss.


Diese Vermischung der Geschichten und Zeiten ist wunderbar und diese Zeitlosigkeit gelingt vermutlich an wenigen Ort so leicht wie hier.

Simon

2 Comments

Renate Oswald

Da wandelt ihr also auf Spuren von Garcia Marquez und dem berühmten Staatsmann und Befreier
Simon Bolivars (Namensvetter) und erlebt in beschaulicher Weise diese wunderbare Wasserlandschaft, aber auch bezaubernde Kolonialstädtchen wie das gezeigte, und somit anschaulich gemachre Mompox. Simon eifert dem „Baron auf den Bäumen “ nach, nur dass sein „haariger arbol“ nicht in Italien steht. Und Milch kann man auf der Straße als Durstlöscher kaufen? Aber was hat Stefanie mit ihrem Fuß gemacht– hoffentlich ist er wieder geheilt. Nun habt ihr ja einiges in Kolumbien gesehen. Geht es bald nach Peru weiter und habt ihr auch Bolivien im Fokus? Man , bzw. frau müßte die Kunst des „beamens“
beherrschen um euch zu besuchen. Gute Weiterreise wünscht maman

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