Es ist 6:30 Uhr, aus Steffis Bett murmelt es „wir müssen aufstehen“. Sonst nix. Das ist komisch. Sonst würde sie mich jetzt intensiv wachgucken, oder auf dem Bett Trampolin springen. Ich denke ich weiß warum. Wir sind beide mit dem Gefühl eingeschlafen „Was machen wir hier? Warum sind wir in diesem Land? Wo gibt es denn hier was Schönes? Sollen wir so schnell wie möglich weiter?“
Gestern Nachmittag war es so heiß und dazu noch Freitag und damit alles Leben von den Straßen gefegt. Das Licht milchig, grell und schneidend. Alles wirkt ausgestorben, leblos, vertrocknet. Fast keine Menschen, nix Grünes, nur ein paar tote Palmenstämme ohne Blätter. Wenn nicht mal Palmen hier wachsen wollen … Nur die beiden altväterlich wirkenden Herren Chomeni und Khameni grinsen uns vielfach überlebensgroß an.
Das Hotel ist eigentlich in Ordnung, aber es stinkt. Es stinkt im Zimmer und es stinkt im Flur – nicht weil es hier unhygienisch wäre, aber die landesüblichen Steh-Klos, wie man sie auch aus Südfrankreich kennt haben keinen Siphon (an dieser Stelle bitte eine Dankminute an Alexander Cunning). Und Hitze und Gestank zusammen sind kein Genuss-Beschleuniger. Das Abendessen im Hotel – Reis und Hähnchen, wie so oft auf dieser Reise – es sättigt, aber hat auch so gar keinen Zauber. Wir reden noch mit Milat, oder besser Milat redet mit uns. Der Rezeptionist und Nachtwächter ist Deutschland-Fan. Und ich denke, einer der größten, die Deutschland hat. Er redet vom Fußball und weiß die Resultate aller deutschen Spiele bei Weltmeisterschaften seit 1982 inklusive Torschützen und noch viel mehr. Und er zählt sie alle auf … und dann redet er von Geschichte, von Bismarck bis Putin und zurück und als er versucht die polnische Schuld am zweiten Weltkrieg zu erklären, erklären wir ihm mal etwas und gehen dann ins Bett.
Vor dem Einschlafen gestehen wir uns erstmals eine Müdigkeit vom Reisen ein. Die Lust am Fremden, die uns normal über all die kleinen Unannehmlichkeiten trägt, sie hat uns gerade beide verlassen.
Wir stehen trotzdem auf und gehen zur Fähre, denn wir wollen auf die Insel Hormoz. Auf der Fähre sitzen Männer und Frauen doch nicht getrennt, wie befürchtet. Dafür alle Varianten von Kopftüchern, die man in diesem Land finden kann. Vom locker übergeworfenen Tuch, das eigentlich nur den Hinterkopf bedeckt, sehr dekorativ ist und vor allem zeigt, ich bin hier aller höchstens ein schönes Schmuckstück, bis hin zu einer habichtartigen Nasen-Maske, die an eine mittelalterliche Foltermaske erinnert und auf uns schrecklich wirkt.
Auf der Insel nehmen wir uns ein Tuc-tuc und lassen uns einmal die ca 20 km die kreisrunde Insel abfahren. Und das ist wirklich spektakulär. Ein geologisches Wunderland, ein vulkanöses Farbspektakel in Rot, Gelb, Grün, Weiß.
Eine Art versteinerter Salz-Wasserfall…,
…Gemälde aus den Farben der Gesteine,
… Natur-Skulpturen-Ungheuer,
… und immer wieder tolle Seilküste.
Aber auch hier: alles ist so trocken, dass einem die Spucke verstaubt.
Deshalb bitten wir unseren Fahrer uns irgendwo an’s Wasser zu bringen, dass wir mal kurz baden können. Natürlich mit der bangen Frage: Können wir da beide rein, dürfen Frauen überhaupt in’s Wasser, wenn ja, wie? Er fährt uns weit abseits der Piste an einen versteckten Strand. Wir sind nicht alleine. Am und im Wasser sind sechs junge Leute, spielend, laut vergnügt. Die Frauen geben Steffi zu verstehen, dass sie ohne Kopftuch ins Wasser kann und ermutigen sie einfach im Bikini zu gehen, obwohl sie selber noch T-Shirts tragen. Es sind Freunde aus dem ganzen Land, sie haben sich ein kleines Haus gemietet und machen hier Urlaub. Sie sind so unglaublich nett, herzlich und lebensfroh, dass wir spätestens mit dieser Begegnung wieder ganz im Reinen mit unserer Reise sind. Sie versuchen uns vehement zu überreden, dass wir bei ihnen auf der Insel bleiben sollen, sie hätten auch Alkohol und gute Musik – aber wir springen nicht über unseren Schatten und verabschieden uns Richtung Festland, wo wir noch all unser Gepäck haben. Wir nehmen ein paar andere junge Leute mit zur Fähre, erfahren dass die Insel Hormoz ein kleines Biotop ist, geistig liberal, künstlerisch und tolerant, damit Magnet für alle kritisch denkenden, oder anders lebenden. „Entschuldige, dass Du dieses Kopftuch tragen muss, das tut uns so leid, dass wir es noch nicht geschafft haben, das zu ändern. Aber wir arbeiten daran, auf viele verschiedene Arten.“
Am Hafen sehen wir ein kleines Café, das genau so aussieht, wie ein Café aussehen muss um unser Lieblingscafé zu werden: individuell, mit Liebe und persönlich, das Gegenteil von Starbuck-Perfektion.
Der Kaffee schmeckt gut und bald kommt eine schöne Frau mit ihrem Handy, darauf eine vollkommen unverständliche Übersetzung des Google-Translators. Aber das ist wohl nur der Türöffner um Kontakt aufzunehmen. Mit Hand und Fuß und Handy und viel Lachen verbringen wir eine Stunde bei ihr. Darya, die junge Besitzerin des Cafés verzaubert Steffi mit ihrem persischen Charme und ihrer Schönheit. Am Ende will sie von uns auf keinen Fall Geld für unsere Getränke, und erst beim dritten nachdrücklichen Versuch ihr klarzumachen, dass ihr junges Geschäft so kaum funktionieren wird, nimmt sie es an.
Am Abend passiert uns das gleich noch einmal, als wir über den Markt streifen um ein wenig Proviant für die Fahrt am nächsten Tag zu kaufen. Unsere Mengen (1 Gurke und 2 Orangen) sind so gering und wir als Gäste so etwas Besonders, dass wir selbstverständlich nicht zahlen müssen …
Wie wir nun erfahren haben, ist das die Kultur des Ta’arof: Solch ein Angebot, wie auch eine Einladung wird ausgesprochen, ist aber nicht unbedingt so gemeint. Erst durch dreimaliges Wiederholen oder darauf bestehen wird deutlich gemacht, dass dies auch tatschlich so gemeint ist.
Im Hotel erwartet uns Milat, sagt mir das aktuelle KSC-Ergebnis und durchlebt mit mir nochmal die großen Zeiten des KSC, repetiert die Trainer-Stationen von Winfried Schäfer überhaupt aller deutscher Trainer im Ausland…
Was für ein voller, bunter, schöner Tag. Keine Spur mehr von Zweifel an unserer Reise und der Idee, den Iran kennenlernen zu wollen….