Sehr geehrter Herr Oberst,
ich schreibe Ihnen, weil ich gehört habe, dass Sie schon sehr lange auf Post warten. Wahrscheinlich – nein ganz sicher – ist das nicht der Brief, den Sie erwarten und erhoffen. In der Sache Ihrer Pensionsansprüche haben wir leider keinen Einfluss. Aber vielleicht freut es Sie zu hören, dass Kolumbien inzwischen ein anderes, besseres Land geworden ist. Natürlich gibt es immer noch viele Probleme, die Gewalt wird wohl nie ganz aufhören, irgendwie scheint sie mit diesem Land zu tief verbunden. Vielleicht muss das so sein: in einem Land, wo die Natur schon so viele Gegensätze bereithält, zwischen Tropen und Hochgebirge, zwischen den Küsten zweier Ozeane, zwischen Amazonas-Dschungel und Wüsten… Vielleicht ist es ein ungeschriebenes Naturgesetz, dass sich hier auch die politischen und gesellschaftlichen Gegensätze auf ewig unversöhnlich gegenüberstehen? Gegensätze zwischen Liberalen und Konservativen, Armen und Reichen, Stadt und Land, ….
Aber immerhin: die Militärdiktatur Ihrer Zeit ist überwunden, die wüsten Bürgerkriege zwischen Liberalen und Konservativen, in denen Sie noch als Oberst gedient haben sind Geschichte. Allerdings folgte danach noch eine ziemlich schlimme Phase: Liberale und Konservative einigten sich auf eine Einheitsregierung, in der sie sich bei der Vergabe des Präsidentenamtes abwechselten. Das ging sechzehn Jahre lang so, vordergründig zunächst friedlich, faktisch kam es einer Abschaffung der Demokratie gleich. So entstanden am linken und rechten Rand zahlreiche militante Gruppen, die für die Fortsetzung der Gewalt sorgten. Die Guerrillagruppen FARC und ELN kämpften gegen Großgrundbesitzer und für eine Landreform zugunsten der armen Kleinbauern und Tagelöhner. Großgrundbesitzer und Unternehmer reagierten mit der Gründung von paramilitärischen Einheiten, die mit unvorstellbarer Grausamkeit das „Geschwür des Kommunismus ausmerzen“ sollten. Die Drogenmafia unterstützt je nach Interessenslage mal diese und mal jene Seite mit Geld und Waffen.
Das Ergebnis waren Schrecken, Terror und Gewalt, v.a. auf dem Land. Die Bauern gerieten zwischen die Fronten, wurden von beiden Seiten unter Druck gesetzt, als Verräter bestraft, vertrieben, gefoltert und getötet. Sieben Mio Menschen mussten aus ihrer Heimat fliehen; Tausende wurden in Massakern hingerichtet. Wissenschaftliche Untersuchungen sprechen von weit über 200.000 zivilen Opfern; ca. 80% davon gehen auf das Konto der Paramilitärs.
Dass es solche Untersuchungen heute gibt, ist ein Zeichen der Hoffnung, oder?
In 2012 begann nämlich Präsident Santos den Dialog mit der größten Guerrilla-Organisation FARC, die nach fünf Jahrzehnten kriegsmüde geworden war, aber immer noch große Teile des ländlichen Kolumbien kontrolliert. Und vor wenigen Monaten – nach fünf Jahren der Verhandlung – sind beide Seiten zu einem Friedensabkommen gelangt, das vom kolumbianischen Volk in einem Referendum gebilligt wurde (wenn auch erst im zweiten Anlauf…). Präsident Santos hat dafür jetzt sogar den Friedensnobelpreis erhalten.
Der Friedensprozess und die Demobilisierung haben spürbare Auswirkungen im Land. Das Sicherheitsempfinden ist enorm gestiegen und zwar zurecht. Die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen, Morde, Gewalttaten ist rapide gesunken, sicher auch unterstützt durch starke Präsenz des Militärs auf dem Land und der – übrigens sehr sympathisch auftretenden – Polizei in den Städten. Die Kolumbianer entdecken und bereisen begeistert ihr eigenes Land und stellen den größten Teil der Touristen, die uns begegnen.
Natürlich, sehr verehrter Oberst, wollen wir nicht naiv sein. Wir wissen, dass die Drogenmafia so aktiv ist wie eh und je – nur eben subtiler und weniger blutrünstig agiert als zu Zeiten Pablo Escobars (Ach, den kennen Sie ja gar nicht. Sie müssen bei Gelegenheit mal die Serie „Narcos“ gucken, falls es Internet gibt, dort wo Sie jetzt sind…) Wir haben auch gehört, dass die Paramilitärs viele Freunde unter einflussreichen Politikern und Geschäftsleuten haben – und die haben keinen Friedensvertrag unterzeichnet.
Dennoch: hier im Land ist bei aller Skepsis auch eine positive Aufbruchstimmung spürbar. Bei allem Schlimmen, was die Leute unserer Generation hier erlebt haben, spürt man jetzt eine Entschlossenheit, sich das Leben nicht wegnehmen zu lassen sondern zu genießen. Sicher gibt es hier noch viel aufzuarbeiten und einen weiten Weg zu gehen, aber zumindest weist der im Moment in die richtige Richtung.
Vielleicht wollen wir aber auch nur optimistisch sein, weil das Land so schön und die Leute so nett sind. Weil von der gewaltsamen Geschichte außer in einigen vertieften Gesprächen nicht viel zu spüren ist, weil wir uns noch nie unsicher gefühlt und noch keine einzige schlechte Erfahrung gemacht haben (Ja, wir passen trotzdem gut auf uns auf!).
So, verehrter Oberst, bevor wir zum Schluss kommen, müssen wir noch etwas loswerden: Die Sache mit dem Kampfhahn finden wir nicht in Ordnung, das ist doch Tierquälerei!
Wir wünschen Ihnen und Ihrer Frau aber, dass der ersehnte Brief mit der Pensionszusage bald kommt, denn ab jetzt wird ja alles besser!
Hochachtungsvoll
Zwei Reisende aus Cartagena
P.S. Vielleicht freut es Sie zu hören, dass in Bucamaranga die „Casa del libro total“ geschaffen wurde, in der alle eingeladen sind zu schreiben und zu veröffentlichen. Ein grandioser Ort, an dem man auch Ihrem Schöpfer Gabriel García Marquez huldigt. Wo solche Orte geschaffen und genutzt werden ist doch immer noch alles möglich, oder?