„Die Finca hier habe ich vor dreißig Jahren gekauft als Wochenendhaus für die Familie. Wir leben und arbeiten ja da unten in Pereira, das ist schon eine hektische Stadt, mitten in der Kaffeezone. Hier oben haben wir unsere Ruhe; am Wochenende kommen auch oft die Kinder mit ihren Freunden – und natürlich Touristen wie Ihr. Für die haben wir vor zehn Jahren das Gästehaus mit vier Zimmern und das Schwimmbad gebaut. Ihr sollt Euch hier wie zu Hause fühlen; natürlich könnt Ihr auch unsere Küche mitbenutzen. Und nehmt Euch Orangen oder Limonen von den Bäumen; Tomaten gibt es auch.
Ich bin 1939 in einem kleinen Dorf hier ganz in der Nähe geboren – als der Älteste von 11 Geschwistern. Als ich zehn Jahre alt war, kam der Bürgerkrieg zwischen Liberalen ud Konsevativen auch zu uns. Meine Familie, unser ganzes Dorf gehörte zu den Liberalen, das war schon immer so, seit Bolivars Zeiten. Das Nachbardorf waren Konservative. Die kamen dann rüber, um Liberale zu töten. Mein Vater war so in Gefahr, dass er sich nicht mehr traute, bei Tageslicht vom Feld zurück ins Dorf zu kommen, denn dann hätten sie ihn getötet. Er hat dann immer draußen auf seinem Feld unter einem Baum geschlafen und kam nur um Mitternacht kurz nach Haus, um vor Tagesanbruch wieder zu gehen. Manchmal habe ich ihn begleitet. Ich habe erst später verstanden, warum wir manchmal große Umwege gegangen sind, weil sich auf dem Hauptweg die Angreifer versteckt halten konnten. Irgendwann wurde es so schlimm, dass wir unser Dorf verlassen mussten und als ganze Familie nach Pereira gezogen sind.
Dort habe ich dann auch studiert und mein ganzes Leben als Lehrer und später als Ausbilder für Lehrer gearbeitet, genau wie Du Simon. Jetzt bin ich im Ruhestand, aber meine Frau arbeitet noch, auch als Lehrerin.
Vor vielen Jahren hatte ich ein Grudstück an der Küste gekauft, ein kleines Grundstück, direkt am Strand. Wir haben von einem Haus am Meer geträumt, denn ich liebe das Meer sehr! Aber dann kamen die Paramilitärs. Die haben im Kampf gegen die Guerrilla Tausende unbeteiligte Menschen umgebracht, arme unschuldige Campesinos. Und die Paramilitärs sind auch nicht zimperlich, wenn die ein Stück Land wollen; dann bekommen sie es auch. Und unser Grundstück am Meer wollten sie haben; alle anderen drum herum hatten sie schon. Wie das läuft? Ganz einfach: Die haben mich zwei Jahre lang angerufen und Druck gemacht zu verkaufen, aber ich wollte nicht. Bis sie mir am Telefon geagt haben: „Ok, dann müssen wir das nächste Mal wohl mit Deiner Witwe verhandeln.“ Da haben wir nachgegeben. Wir haben es schließlich selbst erlebt, dass anderen, die sich stur gestellt haben ein Kind oder der Ehepartner umgebracht wurde, bis die Leute weichgekocht waren. Bei mir ging es ja nur um ein Feriengrundstück, aber bei vielen Campesinos ging es um ihr Land, ihre Lebensgrundlage. Die leben jetzt als „desplazados“ in den Elendsvierteln der Städte. Auf diese Weise haben sich die Paramilitärs die besten Ländereien in ganz Kolumbien gesichert. Die Hintermänner sind oft reiche Politiker und Unternehmer aus der Oberschicht.
Tja, Ihr fragt Euch, wie es möglich ist, dass die Menschen hier so eine gewalttätige Geschichte haben und gleichzeitig so lebensfroh und gastfreundlich sind? Ach wisst Ihr, im Grunde besteht doch alles aus Widersprüchen und Gegensätzen – der Mensch, das Leben und das ganze Universum.