Wir versuchen Schilder zu lesen, um ein Restaurant zu finden. Vergeblich. Auch für die Leute auf der Straße sofort sichtbar. Eine Frau erklärt uns nicht nur den Weg, sie verschwindet kurz, um dann mit einem Buch wiederzukommen: den „Divan“ von Hafiz – wichtigster Lyriker des Landes, 700 Jahre alt, hat Goethe zu seinem West-östlichen Divan inspiriert. Hatten wir auf unserer inneren Liste der „Texte, die wir unbedingt noch lesen müssen“. Das beste dabei: das Buch ist zweisprachig, persisch und deutsch: Trotz viermaliger Ablehnung geht es in unseren Besitz über. (Es ist das zweite Buch, das wir an diesem Tag in der Kulturstadt Shiraz geschenkt bekommen). Einzig zwei Auflagen bekommen wir dazu:
1. „Erzählt in Deutschland von den Menschen im Iran, damit die Welt weiß, dass wir keine Terroristen sind, und
2. Geht mal abends zum Sonnenuntergang zur Grabstätte von Hafiz, dem großen Sohn dieser Stadt, und lest dort Verse aus dem Buch.“
Um 18 Uhr lassen wir uns vom Taxi zur Grabstätte fahren, ein Mausoleum in einem eigens angelegten Park. Am Eingang erwartet uns eine Schlange wie vor der Silverstar-Achterbahn im Europapark in den Sommerferien. Unglaublich – wie wir später erfahren, ist das jeden Abend so voll hier. Leute aus dem ganzen Land und der Stadt kommen hierher, um das Grab zu berühren, um Texte von Hafiz zu rezitieren, um sich Texte vorlesen zu lassen, um gemeinsam einen Tee zu trinken und gaaaaanz viele Fotos zu machen.
Ein Vögelchen pickt aus einer Schachtel einen Vers für uns. Mit Hilfe der umstehenden Leute versuchen wir unter viel Gelächter, diesen in unserem zweisprachigen Buch zu finden. Es gelingt halbwegs. Auf dem Zettel sind nur ein paar wenige, unverfängliche Zeilen des ganzen „Gedichtes“ abgedruckt.
Für uns sind die Texte (unserer Übersetzung) voll von Würdigungen des Weines und recht direkten homoerotischen Bildern. Und das über viele Gedichte hinweg. Wir fragen uns: Hat da der Übersetzer seinen Phantasien freien Lauf gelassen? Kann man diese Seite von Hafiz ausblenden, das überlesen? Wie passt das zusammen in diesem Land, in dem Homosexuellen nichts zu Lachen haben?
Aber mehr noch genießen wir das Beobachten der Menschen, Familien und Pärchen, die sich hier so freudvoll tummeln und sind fasziniert von deren tiefer emotionaler Beziehung zu ihrem Dichter.
Gib mir jenen Wein, den alten,
der dem Landmann Kraft verleiht,
Denn ich will mit neuem Saume
zieren mir des Lebens Kleid.
Mach mich trunken und entfremde
mich der Welt, auf dass ich dann
Dieser Welt verborgne Dinge
dir berichte, edler Mann!
Nachtrag:
Unser liberal denkeder Gastgeber schaut sich das mal genuer an. Wir gehen Zeile für Zeile durch verschiedene Gedichte und stellen fest, dass es wohl tatsächlich auch ein Übersetzungs-Problem gibt. Alle Stellen, die sich in unserer Überszung eindeutig auf einen Mann beziehen, sind im Original eher eine Art „Du“, die das Geschlecht offen lässt.
Alle Weinbezüge kann man als solche auch lesen oder auch metaphorisch, weil Hafiz der größte Meister der Metaphorik ist. Die schlechte Übesetzug aber wühlt ihn so auf, dass er versuchen will den Verlag und Übersetzer sofort anzurufen …