die Reise, Radtour, Türkei

Ein Tag auf Rädern

Heute morgen wachen wir im Hotelbett auf. Nachdem wir die ersten beiden Nächte im Zelt auch ziemlich behaglich verbracht haben, war gestern abend mal ein Hotel fällig. Das hat neben gemütlichen Betten den großen Vorteil, dass das aufwändige Packen entfällt; wir sind also schon um 8 Uhr startklar. Beste Voraussetzung, um unsere angepeilten hundert Kilometer zu schaffen.

So rauschen wir die ersten dreißig Kilometer auch recht flott dahin, über kleine, feine Asphaltstraßen  mit kaum Verkehr.  Wir sind begeistert von der Streckenführung, die uns ein Computerprogramm speziell fürs Fahrrad ausgerechnet hat (graphhopper. de sei hiermit wärmstens empfohlen): Kaum große Straßen (nur einmal müssen wir ein paar Kilometer über die Schnellstraße) trotzdem wenig Umwege, meist guter Asphaltbelag und der Rückenwind scheint auch inklusive. Die Landschaft ist unspektakulär, aber hübsch: sanft hügelig, viele Felder und Unmengen bunter Blumen am Wegesrand – kein Vergleich mit dem Großraum Istanbul, wo offenbar alles umgegraben wird, was noch an Erdreich da ist: zugunsten von Flughafen, Autobahnen, Industriegebieten. Die Landschaft als Großbaustelle, hier werden Massen an Erde, Kies und Schotter bewegt. Schöner wird es dadurch nicht, aber die wirtschaftliche Entwicklung fordert ihren Tribut. Zum Glück sind wir dem am zweiten Tag entronnen und fahren nun durch ein Idyll, das mich ans Eichsfeld erinnert.

Unser ritualisiertes zweites Frühstück nehmen wir heute in Ahmetbey. Hier bietet sich dasselbe Bild wie in fast jedem Dorf: Minarett, Türkeifahne und Atatürk-Statue weisen den Weg zum Ortskern; hier findet sich IMMER – wie winzig das Dorf auch sei – mindestens zwei Teestuben und ein Tante-Emma-Laden. Auf den Veranden der Teestuben hocken ausschließlich Männer jenseits der Pensionsgrenze beisammen bei einem Glas Chai (Schwarztee). Sie mustern uns neugierig bis freundlich und einige winken uns herbei; wir sollen uns setzen und mit ihnen Chai trinken, was wir auch gern tun. Mit Händen und Füßen tauschen wir ein paar Informationen aus: Wir: „Bisiskleti, Istanbul, Almanya“. Einer der Männer sagt dann immer: Ah Almanya, ich 15 Jahre Arbeit in Almanya, Stuttgart (oder Köln, oder Essen…).“ Zahnloses Lächeln für mich, Schulterklopfen für Simon. Unseren Tee dürfen wir dann nie bezahlen. Die Männer und der Wirt streiten sich, wer uns denn nun einladen darf. Wir winken nochmal und weiter geht’s.

 

So freundlich die Menschen in der Türkei, so nervig die Hunde. Da gibt es die trägen, die kaum den Kopf heben und uns müde anblinzeln. Es gibt den pflichtbewussten Verteidiger eines Terrains, der uns solange wachsam begleitet, bis er sicher sein kann, dass wir sein Gelände nicht betreten wollen – und dann gibt es eben auch diese aggressiven kläffenden Köter, die scheinbar kein anderes Ziel in ihrem Leben kennen, als sich in unsere Waden zu verbeißen. Zumindest wirkt es so, wenn sie aggressiv bellend dicht neben unseren Rädern herrennen, gerne auch mal zu zweit oder dritt. Mir verursacht das jedesmal einen kleinen Panikschub und ich bin Simon unendlich dankbar, dass er sich mit einem Stock bewaffnet der Aufgabe annimmt, diesen Viechern Respekt einzuflößen. Soviel Mut hat seinen Preis.  Gleich im nächsten Dorf rast schon wieder so ein hyperaggressives Monster heran und nimmt Kurs auf unsere Fahrräder. Simon greift hinter sich nach dem Stock auf dem Gepäckträger, gleichzeitig kommt dem Rad eine Ladung Schotter in die Quere….und da liegt er schon. Der Hund und ich sind gleichermaßen erschreckt, Simon rappelt sich hoch, die Hände bluten – und werden an Ort und Stelle verarztet.

Und weiter geht’s, diesmal über eine Schotterstraße – das gibt es halt auch mal, wenn man die großen Schnellstraßen umgehen will.

An dieser Stelle könnten wir lange Abhandlungen einfügen über die unterschiedlichen Qualitäten von Schotterstraßen und über die Frage, was besser ist: schlechter Asphalt oder guter Schotter…Aber lassen wir das, denn dieser Tag hat schon die nächste originelle Herausforderung für uns parat: Unsere Schotterstraße windet sich bergauf, bergab durch eine idyllische Landschaft mit vielen kleinen Seen um dann  – schwupps  – in einem ebensolchen einfach zu verschwinden! Unser Weg führt einfach mitten hinein in den See und kommt an der anderen Seite wieder heraus.

Und jetzt? 10 Kilometer Schotterstraße zurückfahren? Das kann nicht sein! Nun ja, so breit ist die Stelle gar nicht und tief sieht es auch nicht aus. Also Hose aus und testen. Der Wasserstand geht an keiner Stelle über den Bauchnabel, da ist die Entscheidung schnell getroffen. Wir tragen Räder und Gepäck durchs Gewässer; jeder dreimal hin und her, dann ist es geschafft, kühle Erfrischung inklusive.

Es folgen weitere Dörfer mit viel Chai, wir zeigen Fotos von unserer Flussdurchquerung, unseren Hundestock und Simons Wunden, führen dabei Pantomine auf, die Männer in den Teestuben freuen sich.

Unser Tagesziel schreiben wir in den Wind, zuviel Zeit haben wir bei Chai, Flußdurchquerung und auf langsamen Schotterstraßen verbracht. Nun gilt es, einen schönen Platz für unser Zelt zu suchen – möglichst mit Wasseranschluss. Wir landen bei einer Familie, die eine organische Gärtnerei betreibt. Kirschbäume, Himbeersträucher und Rosenpracht. Meine Oma hätte ihre helle Freude an diesem Garten, den Celal und Noram seit ihrem Renteneintritt aufgebaut haben. Celal ist ein unglaubliches Arbeitstier, der gerade ein Dach deckt, uns dann seinen Garten zeigt, nebenher nicht vorhandenes Unkraut rauszupft, ein paar Kirschen erntet und zwischendurch die Köfte für das Abendessen grillt. Es ist Ramadan, aber nur Norams Schwester hat den Tag über gefastet. Das opulente Abendessen inklusive selbst gemachter Nudeln und eingelegter Artischocken aus dem Garten gibt es für alle. Noram besteht darauf – und hier ist kein Widerstand möglich – dass wir mitessen. Zum Nachtisch noch ein Berg Kirschen direkt vom Baum und so geht ein intensiver Tag höchst angenehm zu Ende.