Nachdem wir uns an der Grenze über die EU-Fahne gefreut und die ersten Heimatgefühle genossen haben, halten wir an einem kleinen Kiosk. Unser erster Kiosk in der EU, der erste (und einzige) hinter der Grenze, der erste Kiosk im christlichen Abendland. Davor sitzen Männer, wie in den Teestuben, die uns in der Türkei aller Orten begegnet sind. Aber hier sind die Männer nicht alt, weißhaarig, weise und freundlich und laden uns zum Tee ein oder schenken uns noch ein wenig Gemüse für die weitere Fahrt. Hier sind die Männer jung, bullig, kurzrasiert, wirken stumpf und trinken Bier. Sie rühren mich nicht, sie machen mir Angst. Das ist sicherlich unbegründet, und auch in anderen Regionen habe ich gelernt, wenn ich nett grüße, dann verwandelt sich sofort jeder finstere Blick in eine freundlich einladende Mimik. Aber hier gelingt mir irgendwie dieser erste Schritt nicht recht. Wir gehen in den Kiosk um Wasser zu kaufen. Im Kiosk gibt es vor allem Alkohol in allen Farben und Prozenten. Die Verkäuferin gibt uns mit jeder Faser ihres aufgetakelten Wesens zu verstehen, dass sie überhaupt keine Lust hat uns etwas zu verkaufen. Dass wir die Sprache nicht können, verleitet sie dazu nur noch genervter und abweisender in Bulgarisch mit uns zu reden. Ein Lächeln oder andere Hinweise zugewandter Kommunikation sind hier weiter entfernt als die Arktis. Im Eingang des Kiosk befindet sich ein Kaffee-Automat. Darauf groß abgebildet eine nackte Frau, die zum Kauf anregen soll.
Geschockt von kurzen Eindrücken, vor dem Hintergrund der erfahrenen tiefen Gastlichkeit der vergangenen Wochen, oder Monate will ich auf der Stelle atheistischer Moslem werden und dem angeblich überlegenen christlichen Abendland den Rücken kehren … „Gute Nacht Abendland“. Da sich aber spontan kein Vertragshändler findet und Steffi mich wieder beruhigt, verwerfe ich den Plan.
Auch am nächsten Tag lässt sich das Gefühl nicht ganz abschütteln: Mit den Hunden verschwinden hier auch die Menschen von den Straßen und die wenigen Menschen, denen wir begegnen, die sind entweder männlich und Bier trinkend oder weiblich und schnippisch und alle und alles wirkt auf uns freudlos. Hier finden wir viele (halb-)verfallene Sowjet-Bauten, einen verwahrlosten Park, keine Kirchen und keine Menschenseele – nirgendwo; pure Tristesse. Kleine Verbindunsstraßen werden plötzlich im Niemandsland zu Landebahnen – Absurdisran im EU-Zonenrand.
Am Abend schauen wir uns in einem solchen Dorf nach einem geeigneten Platz zum Zelten um. Ein weißhaariger Mann, der sein Schaf und drei Ziegen zum Grasen ausführt, bedeutet uns mitzukommen, und schließlich landen wir in seinem Garten. Die Einladung im Haus zu schlafen lehnen wir ab, freuen uns aber über einen Platz auf ihrer Wiese und die Nutzung des kleinen Bades mit Dusche. Das Zelt ist umgeben von Blumen, spielenden Kätzchen und einem feinen Nutzgarten. Den ganzen Abend kommen Bolya und seine Frau Mariana und bringen uns neue Produkte ihres kleinen Paradieses, Gurken, Tomaten, Schnaps, Eier, Salat… Verständigen können wir uns nur mit Händen, Füßen und ein wenig dem Google-Translator, viel wichtiger aber noch, mit Offenheit und Lust auf Fremde.
Nach der Überquerung des Balkan-Gebirgszugs ist nun alles wieder gut. Die Leute auf den Dörfern beglücken sich und die Umwelt mit tollen Blumengärten, grüßen auf der Straße und in den sehr netten Städtchen wie Elena oder Veliko-Tarnovo finden wir schöne Parks und Cafés und freundliche, gesunde Menschen.
Guten Morgen Abendland!