Gleich unseren ersten Morgen in Bogotá haben wir mit einer „Free Walking Tour begonnen“, wie sie mittlerweile in wohl fast allen Städten dieser Welt angeboten werden. Sehr praktisch: Man informiert sich im Internet, wann und wo eine Tour startet. Am Treffpunkt empfängt einen meist ein sehr junger und sehr enthusiastischer Mensch, der uns und anderen Touris seine Stadt zeigt mit selbstgewählten Schwerpunkten. Da gibt es StudentInnen, die stark auf Geschichte oder Architektur abheben, andere sind eher (gesellschafts-)politisch orientiert. Man lässt sich überraschen – es ist eigentlich immer ein Gewinn – und gibt am Schluss ein Trinkgeld in beliebiger Höhe (natürlich wird vorab schon mehr oder minder deutlich gemacht, dass die Touren nur dank des Trinkgelds angeboten werden können). Die junge Dame in Bogotá legte ihren Schwerpunkt auf die lokalen Genuss-Traditionen. Wir konnten unterwegs also Chicha probieren, einen leicht alkoholischen Maistrunk, Cocablätter kauen, diverse uns bisher völlig unbekannte Früchte probieren und zum Schluss natürlich den unvermeidlichen Café de Colombia trinken. Letzterer ist wirklich sehr gut und der ganze Stolz der Kolumbianer.
Zu Beginn der Tour fragte uns die Führerin, welche Bilder oder Ideen uns zu Kolumbien als erstes in Kopf kommen – und natürlich dachte jeder sofort an Kokain, Drogenkartelle und Guerillakrieg. Es ist immer wieder erstaunlich, wie unglaublich beschränkt unsere Sicht ist auf Länder, die wir nur dank Katastrophenmeldungen aus den Nachrichten kennen. Höchste Zeit, um mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen, die wir selbst mit nach Kolumbien gebracht haben:
1. Bogotá ist bestimmt ein grässlicher Moloch
Ganz falsch! Wir haben in der Altstadt gewohnt: verschlafene Gassen mit bunt gestrichenen alten Häusern, verträumte Plätze mit kleinen alten Kirchen und überall rote Ziegelsteine. Das ganze Viertel ist geprägt von freakigen Kneipen und Cafés, Theatern, Kunst-Kollektiven und Street-Art – hier lebt die alternative Szene von Bogotá genauso wie Alteingesessene und auch Touristen. Natürlich ist die Altstadt nur ein kleiner Teil der 8 Millionen Metropole, bildet aber doch Herz und Zentrum der Hauptstadt, mit der quirligen Einkaufsmeile Carrera 7 und dem zentralen Renommier-Platz Plaza Simon Bolivar. Wir haben uns hier ausgesprochen wohl gefühlt – nicht zuletzt, weil es an jeder Ecke eine Bäckerei mit richtig guten Croissants gibt!
2. Latinos gehen nicht gern zu Fuß
Weit gefehlt! Unser Plan war, auf den Hausberg zur Kirche Monserrate aufzusteigen, von wo aus man einen grandiosen Blick über die Stadt haben soll. Bogotá liegt ja bereits auf 2.650m, also fast so hoch wie die Zugspitze; die Kirche Monserrate liegt steil über der Stadt auf 3.100m – dazwischen liegen also 500 Höhenmeter – oder anders ausgedrückt 250 Stockwerke. Eine Seilbahn und eine Zahnradbahn bringen die zahlreichen Besucher nach oben. Wir wollten natürlich zu Fuß gehen und kamen uns dabei sehr heldenhaft vor. Schließlich besteht der Fußweg aus über 1000 Stufen teils kniehoch, die den fast senkrechten Hang hinaufführen – und das in einer Höhe, in der man schon leicht kurzatmig werden kann – kurz: es ist wirklich anstrengend! Aber welche Überraschung am Einstieg des Weges: Bereits um acht Uhr am Samstagmorgen kamen uns Unmengen sportlich gewandeter Menschen aller Altersklassen entgegen, die den Aufstieg offensichtlich als Frühsport erledigt hatten. Mit uns liefen junge Pärchen, ältere Damen, alte Opas, Familien mit kleinen Kindern – alles Kolumbianer, außer uns kaum Touristen – die trafen wir dann erst oben an der Bergstation der Seilbahn…
3. Fahrradfahren in Bogotá ist Selbstmord
Wieder falsch! Bogotá hat ein Radwegnetz von 350km und das Allerbeste: JEDEN Sonntag und Feiertag werden bis zwei Uhr nachmittags zentrale Verkehrsadern für den Autoverkehr gesperrt und stehen Fahrrädern offen. Ein Streckennetz von an die hundert Kilometern verwandelt sich in ein gigantisches Freizeitangebot mit einer Atmosphäre wie bei einem Stadtmarathon. Polizei und Streckenposten sichern die Kreuzungen. Am Straßenrand gibt es zahlreiche Stände, wo man Snacks und frisch gepresste Fruchtsäfte kaufen kann – und ganz Bogotá schwingt sich aufs Rad – wir natürlich auch. Das war DIE Gelegenheit, mit Leihrädern auch weniger zentrale Stadtteile zu erkunden. Wir sind ca. 30 km durch die Stadt gefahren ohne auch nur annähernd an die Grenzen des Streckennetzes zu stoßen. Und überall auf der Strecke reges Getümmel: sportlich ambitionierte Rennradler, Familien mit Kindern, Jugendliche, Inline-Skater: alles ist auf Rädern unterwegs. Unglaublich, wie das angenommen wird – an JEDEM Sonn- und Feiertag und das seit 40 Jahren!