Wir sind wieder in den Bergen! Die Cordillera Blanca, eine Kette von Sechstausendern im ewigen (?) Eis konnten wir einfach nicht links liegen lassen. Von Huaraz aus wollen wir eine Zwei-Tages-Tour machen. Nur sind wir ja hier nicht in den Alpen – es gibt keine Hütten, keine Karten, keine markierten Wanderwege. An einer geführten Tour führt kaum ein Weg vorbei. Wir finden eine kleine Agentur, die von einem sympathischen jungen Pärchen geführt wird: Luz Vanessa und Walter, beide sind Guides, Walter ist auch Extrem-Bergsteiger und Eiskletterer. Sie schlagen uns eine Route vor, die sie selbst erst einmal ausprobiert haben und noch näher erkunden wollen. Mit von der Partie ist auch noch Angel, ebenfalls Guide, Bergsteiger und Koch, der uns beim Tragen hilft; schließlich muss eine komplette Zeltausrüstung samt Kocher und Lebensmittel auf 4.800m geschleppt werden… Das anfängliche Unbehagen darüber, solch einen „Trageservice“ in Anspruch zu nehmen, verfliegt sofort angesichts der netten Gruppendynamik. Es herrscht kein Gegenüber von Kunden und Dienstleistern, vielmehr fühlen wir uns wie ein Team, das eine neue Strecke auskundschaftet – und manche von uns wissen halt besser bescheid und können mehr tragen als andere .
Wir starten die Tour in einem alten Toyota-Kombi, im Kofferraum alle Rucksäcke und Angel, am Steuer Armando, der komödiantisch veranlagte Fahrer. Es geht ein malerisches Tal nach oben; Armando malträtiert sein Auto auf der Steinpiste bis zur Schmerzgrenze; wir setzten mehrmals auf, müssen an den steilsten Stellen aussteigen. Armando macht Witze über sein Trekking-Taxi und wir gedenken kurz der blank polierten SUVs in unseren Städten….
Die Wanderung beginnt auf 3.600m Höhe, noch gibt es reichlich Vegetation, v.a. bizarr geformte Bäume, die natürlich schnell spärlich wird und in einen Bewuchs aus verschiedensten Gräsern übergeht. Ab 4.000m wird das Steigen für uns Flachländer anstrengend – jeder Schritt ein Atemzug, so schrauben wir uns langsam nach oben. Da tut die Pause an einer kleinen Lagune (der ersten von sechs auf dieser Tour) schon gut. Aber nicht nur die dünne Luft ist atemberaubend sondern vielmehr noch die überwältigende Präsenz der schneebedeckten Gipfel, direkt vor und über uns.
Gerade als wir eine breite, geneigte Fläche aus puren Felsplatten überqueren kündigt sich ein Gewitter an: Wolken, Donner und Blitze quellen wie aus dem Nichts hinter der Felswand zu unserer Rechten hervor. Simon und ich rufen unser lückenhaftes Wissen über das richtige Verhalten bei Gewitter in den Bergen ab und machen uns Gedanken, wo wir am besten Schutz suchen. Unsere Guides finden die Besorgnis total abwegig. „Also, da müsste man schon richtig Pech haben, damit einen ein Blitz trifft.“ Statt dessen erzählen sie uns von dem Gletscherabbruch, der vor einigen Jahren ein ganzes Dorf ausgelöscht hat. Nun gut, wir haben schon öfters festgestellt, dass man sich hier nicht so viele Gedanken macht um mögliche Risiken und Gefahren, die eher im Bereich des Unwahrscheinlichen angesiedelt sind. Wir warten dennoch ein paar Minuten im Schutz eines Felsbrockens ab, bis wir sicher sind, dass das Gewitter nicht in unserer Richtung zieht – und kämpfen uns dann weiter hoch. Bis zum Rand der Lagune, wo wir unsere Zelte aufschlagen werden. Der Gletscher am gegenüberliegenden Ufer ist zum Greifen nah.
Gerade noch rechtzeitig vor den ersten Regentropfen, kriechen wir ins Zelt und warten erstmal einen kräftigen Schauer ab und erholen uns von der Anstrengung. Derweil – und da sind wir dann doch dankbare Service-empfänger – versorgt uns Vanessa mit Tee und Angel kocht das Abendessen.
Nach einer dicken Suppe und Gemüsereis wird es auch schon dunkel und natürlich richtig kalt. In Erwartung einer langen, kalten Nacht auf mittelguten Isomatten verkriechen wir uns gegen sieben in die geliehenen Schlafsäcke. Die Nacht ist dann so lala, die Füße sind kalt, die Matten sind hart ( wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten…), phasenweise prasselt der Regen aufs Zelt, das zum Glück dicht hält und manchmal hören wir das Donnern eines Gletscherabbruchs.
Und dann am Morgen: blauer Himmel über strahlend weißem Gletscher; der Gipfel des Hualcan liegt fast frei direkt vor uns. Unsere Guides erzählen, dass er wegen der vielen Gletscherspalten als kaum besteigbar gilt. Erst ein Team aus Schweizer und peruanischen Bergführern hat sich da hoch gewagt. Gut, dass zumindest ich in dieser Hinsicht keinerlei Ambitionen entwickele. Aber der Anblick ist traumhaft. So richtig genießen können wir das allerdings erst, als es die Sonnenstrahlen endlich über die Bergkante schaffen und uns die klammen Finger und Füße wärmen. Bis dahin hat Angel auch einen dicken süßen Haferschleim gekocht, mit dem wir uns für den weiteren Aufstieg stärken.
Bis wir alles gegessen, gespült und verpackt haben ist es neun Uhr und wir ziehen im strahlenden Sonnenschein weiter in Richtung des Passes, der uns ins Nachbartal führen soll. Zuvor aber passieren wir die umwerfende Laguna 513: Hier ergießt sich der Gletscher direkt ins türkisgrüne Wasser, ansonsten steile schwarze Felswände. Der Anblick ist einfach gewaltig.
Zum Pass sind es dann nochmal anstrengende 400 Höhenmeter über Fels. Angel und Walter gehen vor (mit den schwersten Rucksäcken im Tempo eines lockeren Trainingslaufs) und wollen einen alternativen Passdurchgang auskundschaften, der uns einige Höhenmeter spart. Nach kurzer Zeit geben sie uns von oben ein Zeichen: der neu gefundene Durchgang funktioniert und ist sicher. Wir quälen uns die letzten Höhenmeter hoch – wir sind jetzt auf 4.800m – und fühlen uns ein bisschen als Teil einer Entdeckungs-Expedition. Der Pass hat noch keinen Namen und wir taufen ihn auf Paso del Angel. Unter uns zwei weitere türkisgrüne Lagunen, gegenüber der Gipfel des Huascarán, der höchste Berg von Peru.
Der Abstieg im Nachbartal ist dann ein weiterer Traum aus Gletscher, Felsplatten, zunehmender Vegetation, Wasserfällen, grünen Wiesen, knorrigen Bäumen und, und, und…. Man könnte alle paar Meter verweilen und es sich gemütlich einrichten, so traumhaft verwunschene Plätze gibt es hier. Aber es überwiegt dann doch die Erschöpfung und der Wunsch anzukommen. Und so laufen wir recht zielstrebig talabwärts bis zum Beginn der Straße, wo uns Armando bereits mit seinem Trekking-Taxi und einem breiten Grinsen erwartet.