Begegnungen: Luz Vanessa

Begegnungen: Luz Vanessa

Luz Vanessa begleitet uns auf unserer Zwei-Tages-Tour in der Cordillera Blanca

Ja, das stimmt, es gibt kaum Frauen unter den Bergführern. Ich bin auch eher durch Zufall dazu gestoßen. Ich bin in einem ganz kleinen Dorf hier in der Cordillera aufgewachsen. Meine Mutter pflanzt Mais, Weizen und Kartoffeln an – wie alle hier auf dem Land. Wir hatten ein paar Tiere – Schweine, Schafe, das Übliche.

Schau mal hier, das ist eine wilde Kartoffel. Die Knollen sind längst nicht so groß und nahrhaft, wie die von den Kartoffeln, die wir anbauen, aber im Notfall kann man die auch ausgraben und essen. Wusstet Ihr, dass es in Peru über 4000 Sorten Kartoffeln gibt?

Das Leben auf dem Land hier ist sehr hart und arm. Schlimmer war aber, dass mein Vater trinkt, seit ich denken an. Er hat mich und eine Mutter oft geschlagen. Deshalb war ich immer froh, von zu Hause wegzukommen und habe von klein auf jede Gelegenheit genutzt: Ausflüge mit der Schule, mit einer Jugendorganisation, Kirchengemeinde… ich habe alles genutzt, was es in unserem Dorf gab. Da habe ich gemerkt, dass mir das Reisen Spaß macht. Nach der Schule sollte ich irgendein Studium anfangen, aber bei uns auf dem Dorf kennt man nur die Berufe Arzt, Lehrer und Anwalt. Dafür hätte ich nach Lima gemusst, und das konnten meine Eltern nicht bezahlen. Von Tourismus und anderen Berufen hatten wir keine Ahnung. Dann kam im letzten Schuljahr ein Dozent an unsere Schule, der eine Ausbildung zum Tourismus-Guide vorgestellt hat. Das konnte man in unserer Kreisstadt studieren. Das war gut, denn ich wollte meine Mutter auch nicht ganz allein mit meinem Vater lassen, ich habe nämlich keine Geschwister. So konnte ich immerhin jedes Wochenende nach Hause fahren.

Die Ausbildung hat mir dann sehr gut gefallen und ich habe mir gemerkt, dass das mir das richtig Spaß macht. Dort habe ich dann auch Leute kennengelernt, mit denen ich in die Berge gegangen bin. Da habe ich erst gemerkt, dass Leute aus aller Welt in unsere Berge kommen, die wir hier vor der Haustür haben. In unserem Dorf war das noch überhaupt nicht angekommen – dort haben sie bis heute noch keine Touristen gesehen, es ist einfach zu abgelegen.

Vor einem Jahr habe ich dann Walter kennengelernt und bin zu ihm nach Huaraz gezogen. Wir machen zusammen die Agentur und bieten Touren an. Einfache Tagestrips, aber auch mehrtägige Treks. Walter ist zudem Spezialist für die Gipfeltouren mit Eiskletterei. Ich bin auch dabei, das zu lernen und habe schon ein paar Sechstausender bestiegen, aber die ganz schwierigen Gipfel fehlen mir noch.

Schaut mal, diese Blume heißt Rima Rima, das ist Quechua und heißt „Sprich, sprich“. Die Legende sagt, dass wenn ein Baby, erst spät anfängt zu sprechen, man ihm die Blüten dieser Pflanze auf die Zunge legen muss, damit es schneller Sprechen lernt.

Zu Hause haben wir nur Quechua gesprochen, und auch mit Walter und meinen Freunden spreche ich oft Quechua. Manche Dinge lassen sich da einfach besser ausdrücken. Überhaupt identifizieren wir uns hier in Peru sehr mit den Inkas und nicht mit den Spaniern. Die Spanier sind hergekommen und haben unsere Vorfahren gewaltsam unterdrückt und in Massen getötet. Es ging ihnen nur um Gold und ihre Religion. Ja, Du hast schon recht, unsere Inka-Vorfahren waren auch ein kriegerisches Volk, aber sie hatten ein ganz anderes Verständnis vom Universum und vom Kosmos. Sie wussten schon lange vor den Spaniern, dass die Erde rund ist und die Sonne im Mittelpunkt des Planetensystems steht. Das beweisen uralte Kalender und astronomische Zeichnungen. Die Inkas hatten viel mehr Respekt vor der Natur, der oberste Gott ist die Sonne. Das ganze Gold diente nur zur Huldigung des Sonnengottes und nicht als Reichtum für die Menschen.

Guck mal, diese gelbe Blume hier heißt Ch`oqoch’api, das ist natürlich auch Quechua und bedeutet „Vertrocknete Liebe“, denn wenn sie verblüht ist, bildet sie eine kleine Klette, die dir an den Hosenbeinen klebt.

Jetzt, wo ich nicht mehr zu Hause lebe, hat meine Mutter es auch nicht mehr ausgehalten und sich endlich von meinem Vater getrennt. Das ist sehr schwierig, denn bei uns auf dem Dorf bekommen nur Männer bezahlte Arbeit. Frauen arbeiten ohne Geld. Ich unterstütze sie, so gut es geht, besuche sie einmal im Monat und schicke ihr etwas Geld. Auch für meinen Vater muss ich sorgen, denn er ist schließlich krank, auch wenn er der Einzige ist, der sich heilen kann. Ihm gebe ich kein Geld, sondern kaufe ihm Lebensmittel. Natürlich werde ich beide unterstützen solange sie leben, aber ich bin froh, hier mein eigenes Leben zu haben und ich habe viele Pläne und Ideen. Mit meinen Studienfreunden habe ich einen kleinen Verein gegründet. Wir wollen erreichen, dass die Wege hier in den Bergen gekennzeichnet und gepflegt werden. Dafür sprechen wir mit den Bürgermeistern der Gemeinden und organisieren Müllsammel-Aktionen. Wir wollen die Leute vom Land mehr einbinden. Denn der Tourismus ist eine große Chance für diese Region – und natürlich auch für unsere kleine Agentur.  Aus dieser neuen Tour hier, die wir erst vor kurzem entdeckt haben, will ich ein schönes Angebot machen, denn die Hauptsaison fängt jetzt bald an. Ich bin sicher, dass das gut wird.

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