die Reise, Kolumbien

Medellin – zwischen Gewalt und Innovation

Wir sind doch nicht abgestumpft wie in Cartagena vermutet. Von Medellin sind wir begeistert und fasziniert. Nicht etwa wegen schöner,  historischer Architektur – die sucht man hier vergebens. Eher schon wegen der Lage und natürlichen Umgebung der Stadt: Medellín liegt hin gegossen in einem Tal auf 1700 m Höhe, das beschert der Stadt ein konstant angenehmes Klima zwischen 18 und 27 Grad und den Beinahmen „Stadt des ewigen Frühlings“. In alle Richtungen ragen grün bewaldete Berge auf.

An deren steile Hängen klammern sich die „Problemviertel“. Maximal dicht besiedelte Slums mit einem Chaos aus unverputzten Backsteinbauten – dicht über-, neben- und ineinander verschachtelt.

 

Die meisten Behausungen sind nur über ein Gewirr endloser Treppen zugänglich. Der Wildwuchs herrscht hier seit der Krieg Zigtausende Vertriebene vom Land in die Städte spülte, die nach und nach den bewaldeten Hängen ein Stückchen Leben abtrotzten, natürlich unreguliert, jenseits von Benauungsplänen oder gar Besitztiteln. Gebaut wurde halt, wo es eben geht, und zunehmend auch dort, wo es nach unserem Ermessen eigentlich gar nicht geht… Das sind genau die Viertel, die man ab und zu in der Tagesschau sieht, weil wieder ein Erdrutsch hunderte Behausungen und deren Bewohner mitgerissen hat.

Klingt erstmal abschreckend, aber genau diese Barrios (Stadtviertel) haben es uns angetan – vielmehr deren Entwicklung. Bis vor zehn Jahren war hier die Gewalt zu Hause. Klar: vom Krieg gezeichnete Menschen auf engstem Raum, ohne Job, ohne Perspektiven, ein Haufen junger Männer mit Gewalterfahrungen, dazu das gewaltverherrlichende Regime des Medellin-Kartells unter dem Drogenbaron Pablo Escobar. Vor 30 Jahren hatte Medellin die höchste Mordrate weltweit. Das ist Vergangenheit. Der Tod Pablo Escobars und damit das faktische Ende des Medellin-Kartells hat sicher viel zur Entspannung beigetragen.
Mindestens genauso bedeutend scheint uns aber auch die engagierte Sozial- und Strukturpolitik der äußerst innovativen Stadtverwaltung. Drei Beispiele:

1. Anbindung der Problemviertel durch hochmoderne Seilbahnen:


Die Armenviertel an den Hängen werden nach und nach durch Seilbahnen an das Zentrum angebunden. Die absolut modernen Gondeln fahren direkt an den Metrohaltestellen ab. Geräusch- und emissionslos schweben die Menschen über mehrere Zwischenstationen die steilen Hänge rauf und runter, und das alles im Preis einer Metrofahrkarte enthalten (ca. 80ct ). Die Kinder fahren zur Schule, die Eltern zur Arbeit und auch Alte und Kranke können auf diesem Weg ihr Viertel mal verlassen. Die Seilbahn macht die Leute aus den  Vierteln sichtlich stolz, sie fühlen sich wahrgenommen und wertgeschätzt und geben diese Wertschätzung zurück: Gondeln und Stationen sind auch nach 10 Jahren in einem Top-Zustand, von Vandalismus keine Spur.In einem anderen Viertel wurde der Zugang durch ein System von Rolltreppen erleichtert (Bildmitte).

2. Bildung und Sport für alle:
In allen Problemvierteln gibt es kostenlose Kinder-Tagesstätten, wo Kinder ab drei Monaten betreut werden, spielen und erste frühkindliche Bildungsangebote erhalten. Ein Segen, gerade für die vielen alleinerziehenden Mütter. Zudem gibt es ein flächendeckendes System von Sport- und Freizeitangeboten für Jugendliche, von Fußball bis Tanz. Kostenlos, aber nicht  unverbindlich: die Kids müssen sich für Aktivitäten anmelden und pünktlich und regelmäßig erscheinen, sonst fliegen sie raus. Begleitet werden sie dabei nicht nur von Sportlehrern sondern auch von Sozialarbeitern, die ein Auge auf die Themen Drogen, sexueller Missbrauch und häusliche Gewalt haben.

3. Verbindung von Stadt und Natur: das Projekt hat uns so gut gefallen, dass es dazu einen eigenen Bericht gibt.

Alles zusammen und nicht zuletzt auch die ausgeprägte, aber freundliche Präsenz von Polizei hat dazu geführt, dass die Gewaltkriminalität in den Vierteln auf ein Zehntel der traurigen Rekordwerte gesunken ist – und zwar nicht nur in der Statistik, sondern v.a. in der Wahrnehmung all der Menschen, mit denen wir gesprochen haben (z. B. – > Mari). Inzwischen wagen sich auch zahlreiche Touristen in die Stadtviertel mit ihren bunten Häusern,  kreativer Streetart und innovativen Verkehrsmitteln –  ein weiterer Schritt aus der Isolation.

Natürlich bleiben Fragen offen: Lässt sich das alles auf Dauer finanzieren, und stecken da womöglich auch Drogengelder drin? Drogen und häusliche Gewalt sind nach wie vor große, ungelöste Probleme. Arbeits- und Perspektivlosigkeit sind bei weitem nicht beseitigt.
Aber es ist absolut spürbar, wie sehr die Menschen das vergleichsweise friedliche Zusammenleben genießen und dass darin große Chancen für eine bessere Zukunft liegen.
Hoffen wir das Beste!

Stefanie

2 Comments

Renate Oswald

Hallo Stefanie
mit den Treppen, Rolltreppen und Seilbahnen an den Berghängen, die nach unten bzw. oben führen kann ich mir Medellin ganz gut vorstellen. Kunterbunte Behausungen aber auch Backsteinbauten die ineinandergeschachtelt sind. Schade, das der Panoramaweg nicht weiter ausgebaut werden kann, da müssten internationale Geldgeber gefunden werden. Und auf der Ebene erheben sich die Hochhäuser–
Die 3 Buben auf dem Laster sind wohl diejenigen, die euch s´handy klauen wollten, vielmehr einen Tausch von knipsen gegen handy wollten. Das gelbe Gefahrenschild auf dem Pickup warnt, genau wie bei uns vor Überlängen. Auch Simons Text finde ich sehr informativ. Weiß man überhaupt wie viele Menschen in M. leben?

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