die Reise, Kolumbien

Eine Woche mit Auto, Hüten, Kaffee und ohne Bewertungs-Diktat

Wir wollen mal ein wenig Abseits des „Gringo-Trails“ in die Landkarte eintauchen, ohne Lonely Planet, Tripadvisor oder Booking. Fluch und Segen der totalen Bewertungs-Demokratie: Was viele toll finden ist in der Regel auch toll, und wenn es durch die Populariät an Qualität verliert, dann liest man das auch gleich wieder… Eigentlich kann man durch die ganzen vielen Hinweise, die eifrige Bewerter überall hinterlassen wirklich einigermaßen gut abschätzen, ob ein Weg sich lohnt oder nicht, ob uns die Unterkunft gefallen wird oder nicht, kleine feine Ideen finden, auf die wir selber nicht gekommen wären. Aber trotzdem stört uns die Unterordnung unter diese demokratische Datenkrakenlenkung auch.
Weil:
1. Wir verbringen (zu) viel Zeit mit der Recherche, dem Vergleichen, dem Suchen nach dem optimalen Ort und es verbleibt so immer ein wenig das Gefühl, vielleicht gibt es noch was passenderes, günstigeres…

  1. Wir kommunizieren so mehr mit dem Internet als mit den Menschen, seien es Reisende oder Einheimische
  2. Wir reisen so viel zu wenig im Humboldschen Sinne, zu dessen Zeit die Bewertungen noch nicht ganz so ausgefeilt waren, der einfach jeden Unbekannten Fleck als Aufforderung empfunden hat und das Neue spannend fand, und nicht das bereits Entdeckte.
  3. Wir denken beim Blick auf die Landkarte: Es gibt hier so unendlich viel Bergwelt, so unendliche viele (und das ist wirklich weit untertrieben) Täler mit Flüssen, Bergrücken, Dobeln, Schluchten … das muss doch alles voll sein von Wasserfällen, Becken, Gumpen, spannenden Wegen. Und ebenso viele kleine Städtchen und Dörfer, die alle in keinem Führer stehen oder in den TOP Soundso Listen erwähnt werden. Das alles wartet nur darauf von uns entdeckt zu werden.

Also mieten wir in Medellin ein kleines Auto und fahren los. Über die Berge und durch schöne Berg-Landschaft mit tiefen Tälern, vielen Horizonten, üppigem Bewuchs an Bäumen und sehr viel Landwirtschaft. Klein und Groß – für den Eigenbedarf und für die Weltbevölkerung, in allen Höhenlagen. Unten Zuckerrohr, Bananen, dann Orangen und jede Menge anders Obst, Ananas-Plantagen und und und, und  in der Höhe dann natürlich Kaffee. Überall am Straßenrand kann man frisches Obst kaufen und Säfte der Früchte die gerade reif sind. Und das scheinen gerade alle zu sein. Für Frisch-Obst-Fanatiker ein Paradies.

Erste Station das Colonial-Städtchen „Santa Fe“ – nicht wirklich ein Geheimtip, vor allem am Wochenende kommen die Medelliner hier runter um ein wenig Wärme zu tanken. Wir besichtigen die vormals Längste und fast 100 Jahre alte Seilbrücke Südamerikas „Puente oriente“, entdecken einen Wasserfall und einen nicht und genießen sonst ein paar paradisische Tage bei einem italienschen  Hotelbesitzer. Gefunden ganz ohne „Booking“, nur durch‘s Schlendern durch die Straßen. Schöne Kanarien-Vögel setzen sich zu mir auf den Liegestuhl, Leguane flüstern Geschichten aus dem Gebüsch und als dezente Musik spielt Besitzer Marco nachmittags Pink Floyd am Pool und am Abend Klassik… nach Wochen voller Vallenato und Rancheros – „die schlimmste Musik die je erdacht wurde“ (Zelick – „la Negra“) ist das ein Gedicht für die Ohren.

 

Wir fahren 50 km am riesigen „Rio Cauca“ nach Süden, ohne eine einzige Siedlung und sind Helden. Und entschließen uns dann, nun mal wirklich abseits zu fahren, in einen Ort namens „Concordia“, über den wir gar nix wissen. Er liegt steil am Hang, so steil, dass ich mit unserem Auto im ersten Gang die Straße nicht mehr hoch komme. Und so steil, dass die Garageneinfahrt unseres Hotels auf der einen Seite nach oben und auf der anderen nach unten gebogen ist, um Anschluss an die Straße zu finden. Was dazu führt, dass ich beim Rein- oder Rausfahren immer mit mindestens einem Rad in der Luft hänge und durchdrehe –und zwar wörtlich und geistig.


Das Städtchen ist geprägt vom Kaffeeanbau, einer prächtigen Aussicht und von Männern mit Hüten. Wir sind begeistert: vom Geschmack des Kaffees, den Bildern dieses ländlichen Lebens und der Begegnung mit dem Kaffee-Produzenten. Wir treffen ihn am Abend nochmal und er lädt uns ein, am nächsten Tag eine Finca seines Bruders zu besuchen – und weil diese so abgelegen ist natürlich mit Pferden.
Wow – einmal wirklich weg von den Haupt-Touristen-Routen, und wir bekommen so viel geschenkt! Wir sind freudvoll, berührt, sprachlos.

Das versuchen wir nochmal: Runter aus den kalten Bergen, wieder in das drückend heiße Tal und dann wieder steil hinauf auf 2000 Meter in das Dorf „Jerico“.
Und wieder, zum dritten Mal in Folge: ein Dorf wie aus dem oder für das Bilderbuch. Koloniale Häuschen mit bunt bemalten Türen, Fenstern und Balkonen bilden die Straßenzüge, diese sind alle rechtwinklig angeordnet und gleich lang. Wie wir jetzt gelernt haben ist „eine Quadra“ das Flächenmaß 80m*80m=6400m² genau ein solches Schachbrett-Feld. Eine der Quadras ist nicht bebaut, da ist die Plaza und direkt daneben auf einer der Quadras steht die Kirche. Die Plaza füllt sich zum Abend, zwischen 17:00 und 20:00 Uhr wir flaniert, gespielt, geschaut, geredet und Moto gefahren. Und am Sonntag da platzt der Platz und die umliegenden Straßenzüge aus allen Nähten, denn dann kommen die Leute vom Land. Sie wurden ausgezahlt, kommen in die Kirche und machen nun ihre Besorgungen, Besprechungen und Besäufnisse. Die Leute, das sind in diesem Fall die Männer. Sie tragen hier praktisch alle Hut und Hemd und haben einen Schal (dünnen Poncho) umgelegt, als Sonnenschutz, Schweißtuch und zum Überziehen, wenn es am Abend kalt wird. Und die Frauen? Sind Jung und meist sehr gestylt, oder etwas älter und mit Kindern beschäftigt oder arbeiten in den Läden, Cafes oder Restaurantes. Aber zum Plausch im Cafe sieht man sie eigentlich nie. Vielleicht können sie einfach auch nichtmehr die Vallenatos oder Rancheros hören, die in verletzungsgefährdender Lautstärke aus jedem zweiten Haus knallen.

Und neben all den Cafes, Restaurants, Läden für Macheten, Seile, Hüten, Sattlereien, Landwirtschaftsbedarf, … finden wir auch hier wieder mindestens Cafe, das auch am Prenzlauer Berg erfolgreich wäre. Mit super Cafe, Capuccino und einem wunderbar entspanntem Flair. Wer das sonst besucht, wo es hier wirklich praktisch keine Touristen gibt? Zum Beispiel unser Kaffee-Baron Enrique – von ihm haben wir den Tip.

 

Der Versuch mal eine abseitige Straße zu fahren, über die wir unterschiedlichste Informationen bezüglich des Straßenzustandes erhalten, scheitert nach einer Stunde Fahrt: Von Teer zur Sandpiste zur Steinwüste mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca 15 km/h … und das für weitere 100 km. Wegen solcher Strecken fahren hier die guten alten Toyota-Geländewagen als Taxi herum, für unsere Mini-Flach-Büchse ist das nicht machbar. Wir geben auf und freuen uns, dass auch mal was nicht klappt und wir später in dem wirklich häßlichen Straßen-Motorrad-Dorf „Supía“ schlafen dürfen.

Und nun zum Abschluss unserer kleinen Auto-Tour sind wir in Pereira, einer Stadt in Mitten der „Eje cafetal“. Vor allem sind wir da aber etwas außerhalb in einer kleinen Cafe-Finca, blicken über die Stadt und während ich die Zeilen schreibe werde ich von attraktiven Vögeln dermaßen abgelenkt und optisch verführt, dass ich überhaupt nicht weiter komme …