Am Abend nach unserer zufälligen Begegnung haben wir Enrique gleich nochmal zufällig getroffen, diesmal auf dem Dorfplatz in Concordia, wo sich am frühen Abend alle Welt auf einen Kaffee oder ein Bier trifft.
Er kommt an unseren Café-Tisch geschlendert, wo wir gerade am Laptop die Erlebnisse des Tages verarbeiten, mit ihm als Protagonisten. Er freut sich über die Fotos von seiner Finca und seinen Kaffeebohnen und beschließt offenbar, dass wir ein würdiges Publikum für weitere Einblicke in das Leben eines Cafeteros sind.
Enrique schlägt vor, morgen noch die Arbeit der Kaffee-Kooperative und danach die Finca seines Bruders kennenzulernen, und zwar zu Pferde. Wir sind ganz verunsichert angesichts von so viel Gastfreundschaft. Unsere Bedenken, dass wir ihm nicht zu viel Zeit stehlen wollen, wischt er beiseite: „Ich bin schließlich der Patrón. Ich kann machen, was ich will und das hier mach ich sehr gerne.“ Also gut, dann sind wir natürlich dabei!
Wir treffen uns am nächsten Morgen wieder im selben Café am Platz und gehen dann gemeinsam zweimal um die nächste Ecke zur Kooperative, wo alle Bauern, die hier Mitglied sind ihre getrockneten Kaffeebohnen abliefern – und zwar in 60kg-Säcken. Das Entladen ist ein archaisches Schauspiel. Männer mit nacktem Oberkörper und Schweißtüchern wuchten sich die Säcke auf die Schulter und tragen sie vom Kleinlaster des gerade anliefernden Bauern ins Lager.
Dann folgt die Qualitätsanalyse, denn an der Qualität bemisst sich der Preis, den der Bauer pro Kilogramm erhält. Die Ankauf-Preise für jede Qualitätsstufe werden jeden Tag vom Börsenpreis abgeleitet und auf einer großen Tafel angeschrieben. So kann es durchaus vorkommen, dass ein Bauer für den selben Kaffee an einem Tag 20% mehr oder weniger erhält, als eine Woche zuvor – seine Kosten bleiben dabei natürlich dieselben…
Für die Qualitätskontrolle werden aus jedem Sack der jeweiligen Lieferung einige Bohnen entnommen. Diese Stichproben werden gründlich gemischt. Dann werden aufs Zehntel genau 250 Gramm abgewogen und zunächst von einer kleinen Maschine geschält. Ein Fachmann sortiert nun unter den wachsamen Augen des anliefernden Bauern und in rasender Geschwindigkeit die Bohnen nach Aschenputtel-Art in gute und schlechte. Dabei gibt es 14 verschiedene mögliche Defekte wegen derer eine Bohne durchfallen kann. Nun folgt die Gegenprobe: Alle „durchgefallenen“ Bohnen werden nochmal überprüft, ob nicht versehentlich eine gute darunter ist – unter Umständen gibt es hier auch kurze Diskussionen mit dem wachsamen Bauern. Denn das Ergebnis dieser Stichproben-Analyse entscheidet über den Preis für seine ganze Lieferung.
Die verbleibenden „guten“ Bohnen werden wieder genau gewogen; je geringer der Ausschuss ins Gewicht fällt, desto höher der Preis für jedes Kilogramm der gesamten Charge. Und der liegt derzeit zwischen 1 und 1,50 US-$.
Um den Verkauf der Bohnen in den verschiedenen Qualitätsstufen kümmert sich die Kooperative, damit haben die Kaffeebauern nichts mehr zu tun. Die Bohnen gehen in der Regel in die USA oder Europa, wo Kaffee höchster Qualität geschätzt wird. Und kolumbianischer Kaffee ist selbstredend der beste der Welt.
Für die Bauern ist das Geschäft mal mehr mal weniger einträglich; manche versuchen sich auch selbst im Rösten und suchen eigene Vertriebswege, damit vom Endkunden-Preis mehr bei ihnen hängen bleibt. Aber das ist laut Enrique auch mit Risiken und Schwierigkeiten verbunden. Er selbst lässt lieber die Finger davon. Er ist und bleibt mit Leib und Seele Kaffeebauer wie schon sein Vater und Großvater. Ganz anders sein Bruder, dessen Finca wir nachher noch mit den Pferden durchstreifen: Der hat den Kaffee aufgegeben und setzt auf Rinderzucht….