Als ich im Herbst am Frankfurter Flughafen nach Kuba aufbreche, hängt da ein Werbeplakat (einer Fluggesellschaft?). Darauf eine nachdenkliche junge Frau, die auf Felsen erhöht im Dämmerlicht über eine Wüstenlandschaft blickt. Darunter die Botschaft „Manchmal muss man 20.000 km weit reisen um zu sich selbst zu finden“.
Da hätte ich mich ja freuen können, dass jemand die o.g. Frage schon für mich beantwortet hat. Tatsächlich hatte ich beim Anblick sofort diese Frage von Sebastian im Kopf. Aber anstelle der Freude, die Antwort so früh zu Beginn der Reise gefunden zu haben, stellt sich ein kurzer Ärger über die Werbetexter ein. So ein Schwachsinn, denke ich und fühle mich fast persönlich beleidigt von dieser Aussage und vergesse deshalb, das Bild zu fotografieren.
Ich reise nicht „um zu“ mir selbst zu finden. Folgende widersprüchliche Überlegungen oder Aspekte zu dieser Frage sind mir seither so durch den Kopf gegangen:
- Was mich beim Anblick des Bildes leicht ärgerte: Ich empfinde es gar nicht als so wichtig, zu mir selbst zu finden, oder zu mir selbst zu reisen. So viele Menschen, mich eingeschlossen, drehen sich eh so viel um sich selbst, um eigene Befindlichkeiten, dass ich die Beschäftigung mit Themen, Menschen oder Lebensformen die außerhalb meiner Selbst liegen, als wohltuendes Abstandnehmen vom Selbstgekreise sehe.
- Auf der Reise spüre ich, dass ich natürlich von mir weg reise. Die vielen bunten Eindrücke, die vielen Aktivitäten entfernen mich von meinem alltäglichen Sein. All die kleinen Routinen, die Selbstverständlichkeiten, die das alltägliche Leben so ausmachen, die so lange gefestigten Gewissheiten über mich selbst, in denen sich Seele und Empfinden gemütlich eingenistet haben, das geht ein wenig verloren. Ich beschäftige mich mit anderen und anderem. In der Frage klingt das ein wenig nach einer negativ bewerteten Oberflächlichkeit, als „Ablenkung“ vom Wesentlichen. Ich empfinde es als Erweiterung, als Fokusverschiebung von innen nach außen. Nicht mehr „ich“ stehe im Zentrum meiner Wahrnehmung, sondern die Umwelt.
- Und damit reise ich natürlich doch auch zu mir selbst.
Durch das Ablegen von liebgewonnenen Selbstverständlichkeiten und die Erfahrung, dass Dinge auch auf ganz anderen Wegen funktionieren, verändere ich mich natürlich.
Als Beispiel: Planung und Sicherheit. In meinen Berg- und Arbeitsleben habe ich gelernt, dass die Dinge dann besonders gut gehen, wenn sie wirklich gut durchdacht, geplant und vorbereitet sind. Wenn ich vorher nicht rausbekomme, wo unterwegs Trinkwasser-Quellen sind, dann muss ich eben so viel Wasser mitnehmen, dass ich auch dann genügend habe, falls es keine Quelle gibt. Das entspannt mich. Und nun, bei mehreren langen Touren erfahre ich, wie andere Leute so eine Tour angehen: Bergführer gehen komplett ohne Wasser los (ich mit 2 Litern = 2kg), beginnen abends um 16:00 Uhr einen 6 Stunden Abstieg, wo es um 18:00 Uhr dunkel wird. Und ich erfahre so häufig: das geht auch. Das ist vielleicht mal unbequem – da schläft man dann mal einfach eine Nacht ohne Ausrüstung mitten im Wald, ja und? Es geht so vieles mehr, als ich mir in meiner kleinen Planungswelt vorstelle. Das ist dann natürlich nicht optimal, aber dafür sicher abenteuerlich. Es ist nicht schlimm, wenn manche Dinge nicht so ablaufen wie gedacht. Vielleicht wird das Ziel nicht erreicht, aber es passieren andere Dinge, und die sind oft auch wieder bereichernd.
Das klingt vielleicht trivial, für mich aber ist es eine tief empfundene, erweiternde Erfahrung. - Letztlich ist es wohl, wie unsere Freundin Nina schon meinte: „Man hat sich beim Reisen doch eh immer dabei“. Menschen, die im Alltag nicht zu sich finden, werden dies auch auf Reisen nicht. Wer offen ist für erweiternde Erfahrungen, der findet in der Auseinandersetzung mit dem und den Fremden auf einer Reise einen großen Quell an Möglichkeiten.